Der Zauber des Echten

Harry Potter geistert durchs Kino. Doch gegen Eberhard Bärmann ist Potter ein blutiger Anfänger. Der Feuerwehrmann zaubert seit über vierzig Jahren. Er verlässt sich auf über 260 Trickzauberstäbe

„Wenn man die Kartentricks satt hat, nimmt man Seile oder zersägt seine Frau.“

von ULRICH SCHULTE

Es geht zu einem Zauberer und man erwartet Wunderliches. Zunächst vergebens. Ein blechernes „Dritter Stock, Vorderhaus“ aus der Gegensprechanlage, dann ein Flur wie viele in Neukölln – Briefkästen mit halb abgekratzten Aufklebern, es riecht ein wenig muffig, nur das Licht ist zauberlich diffus. Im dritten Stock geht die rechte Haustür auf, der Zauberer schüttelt die Hand und drückt kräftig zu.

Eberhard Bärmann, 54, erste graue Strähnen im dunklen Haar, trägt schwarze Jeans und ein ebensolches T-Shirt, darunter zeichnet sich ein kräftiger Bauch ab. Die Stimme passt zum Namen und zur Figur – dunkel, laut, berlinernd.

Bärmann bittet herein. Wie nun ein Gespräch über Magie beginnen? Am besten erstmal Zusammengehörigkeitsgefühl wecken – Wingardium Leviosa! Nichts passiert. In Harry Potters Welt, den hohen Sälen von Hogwarts, müsste Bärmann, jetzt eigentlich von seinem Stuhl abheben, schwebend über den soliden Esstisch treiben, vielleicht hinüber zur klar lackierten Holzvitrine. Und dann mit einem lauten „Reducio!“ antworten. Stattdessen runzelt er die buschigen Augenbrauen und sagt: „Kenne ich nicht.“ Er bevorzugt das klassische „Hokus pokus fidibus, drei Mal schwarzer Kater.“ Aus pragmatischen Gründen. Das können sich Vorschulkinder merken. Beim ersten Kunststück spricht er ihnen vor, beim nächsten schreien alle mit. „Bei Harry Potter gibt es für jede Wirkung einen eigenen Spruch, meiner ist universell.“

Vielleicht findet er die Idee albern, nach Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Harry zu suchen. Ihm, dem gestandenen Feuerwehrmann, der seit über 40 Jahren in seiner Freizeit zaubert, dem Vorsitzenden des Vereins Zauberfreunde Berlin. Und dem pubertierenden, ständig verstrubbelten Helden Joanne K. Rowlings, der in 30 Mitternachtspremieren in der Stadt zu sehen war, wegen dem in der Nacht zum Donnerstag hunderte Kinder mit Fackeln zum Kino Zoo-Palast zogen.

„Wir betreiben seit vielen Jahren die Zauberkunst“, sagt Bärmann freundlich. Geduldig. Wählt die Worte sorgfältig, bemüht um Verständlichkeit. „Und Harry ist ein echter Zauberer. Man kann nicht Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.“ Die Bücher? „Würde ich als moderne Märchen einstufen. Harry stellt eine Art Aschenputtel dar, mystisch verpackt.“ Erst unterdrückt, dann auserwählt – die klassische Geschichte. Die fiktionale Magierfigur hat aber auch aus Bärmanns Sicht eine Wirkung auf die realen Zauberkünstler. Und keine schlechte. „Endlich steht einmal ein Zauberer auf der richtigen Seite.“ In traditionellen Märchen seien Zauberer sonst immer böse, die Feen stünden gemeinhin für das Gute. Solche Klischees mag Bärmann nicht erfüllen, zieht keinen Hut und keine Sternenrobe an, wenn ihn die Kindergärtnerinnen darum bitten. Auch für den Fotografen nicht.

Stattdessen zaubert er, lässt viele kleine Stäbe aus einem großen springen, vertauscht einen weißen mit einem schwarzen Holzhasen unter glitzernden Schachteln. „Ein Aufsetzertrick. Der Beobachter meint erst hinter das Geheimnis zu kommen, liegt dann aber trotzdem falsch“.

Apropos Geheimnis. Magier Harry fliegt gewöhnlich auf einem Reisigbesen (Modell: Nimbus 2000) über das Quidditch-Feld. Mensch David Copperfield, der im Flur von einem Poster lächelt, fliegt ab und an auch über seine Bühne. Wie macht er das? „Jeder Zauberer muss die Geheimnisse wahren, so steht es in unserer Satzung. Im Schweigeparagraphen 16.“ Wieder der geduldige Ton.

„Harry Potter stellt eine Art Aschenputtel dar, mystisch verpackt.“

Böse Zungen würden gar behaupten, sagt Bärmann weiter, dass deshalb so wenige Frauen zaubern könnten. „Weil sie Geheimnisse schlecht für sich behalten können. Das stimmt natürlich nicht.“ Nur zwei der 33 Zauberfreunde sind Frauen, Männer scheinen tatsächlich Magischem aufgeschlossener zu sein. Etwa der Polizist, der seine Tochter aus einem Holzkästchen steigen lässt, sie fesselt und dann von oben nach unten durchsägt. „Das gehört zur Sparte der Großillusionen“, sagt Bärmann.

„Die Zauberei ist ein sehr abwechslungsreiches Hobby. Man fängt mit Karten an. Wenn man die satt hat, nimmt man Seile oder zersägt seine Frau.“ Bärmanns eigene wollte sich beim letzten Trick nicht mehr vierteln lassen, er solle sich gefälligst eine andere Gehilfin suchen. Aber bei diesem Zersägen, dem Zusammensetzen und Verdrehen der plötzlich autarken Körperteile, da sind doch sowieso Spiegel im Spiel? Bärmann schaut. Zieht die Augenbrauen hoch. Schaut wieder. Stimmt – das Trickgeheimnis, Paragraph 16.

Wenigstens über seine Sammlung redet Bärmann, die weltweit einzig ist. Seinen Trickzauberstäben ist die Magie fest eingebaut: Seidenblumen springen heraus, manche verwandeln sich in Schlangen, insgesamt sind es 260 Stück. „Viele sind Vermehrungsstäbe. Zählt man sie dazu, sind es über 300.“

Auf einem Regal im Wohnzimmer liegt der offizielle Harry-Potter-Stab, der schon seit Monaten Teil der Sammlung ist. Eine handlange Wurzelnachbildung aus Weichplastik, „Made in China“ ist am einen Ende eingeprägt. Neulich hat er damit während des Telefonierens gespielt, dabei ist die Spitze abgebrochen. „Ist nichts Dolles, hat auch nur zehn Mark gekostet.“ Endlich die Gelegenheit für den Märchen-Realitäts-Abgleich: Doch das Einhornhaar, das angeblich Potters Stab innewohnt und ihn magisch macht, findet sich in der weißen Bruchstelle nicht.