Volksgesundheit aus der Böttcherstraße

■ Eine Rundfunkdokument von 1932 macht die völkische Ideologie der Böttcherstraße sichtbar. Die Aufnahme erscheint jetzt als Hörbuch

„Meta, komm gieß doch mal eben ein.“ Teetassen klimpern. „Und denn schnack du doch mal.“ Die Fräuleins Pennmeyer und Buschmann wollen ihr Haus in der Böttcherstraße dringend an Ludwig Roselius loswerden. Doch anno 1902 zierte sich der Bremer Kaufmann noch. Sein riesiges Vermögen wird er erst einige Jahre später anhäufen, nachdem seine Erfindung des entkoffeinierten Kaffees zum Renner wurde.

Roselius kaufte die Häuser der Böttcherstraße nicht aus Mitleid mit den Bremer Fräuleins, die den ganzen Charme ihres hanseatisch spitzen „S“ aufboten: „Eisen-Finke will ja wohl das Haus kaufen, aber dann stellt der ja seine alten üblen Stangen hier hin, wie da nebenan. Und das will ich ihnen man sagen, dann dreht sich unserer seliger Vater noch im Grab rum.“ Der Kaffee-Kaufmann wollte mit dem Neubau und der Umgestaltung der heruntergekommenen Bremer Gasse ein Gesamtkunstwerk erschaffen. Welche Idee in dem Projekt Böttcherstraße verborgen war, wollte der Reporter der Nordischen Rundfunk AG (Norag), Julius Jacobi, erfahren. Das Ergebnis seiner Recherche wurde auf Wachsplatten aufgezeichnet und ging im Jahr 1932 über den Äther. Dank einer Gemeinschaftsproduktion der Böttcherstraßen GmbH, von Radio Bremen und dem Deutschen Rundfunkarchiv ist das 104 Minuten lange Radiofeature heute auf einer CD zu hören.

In 14 Stationen stellt die aufwändige Produktion die Häuser der Gasse vor. Die Probierstube der Kaffee Hag AG promotet den entkoffeinierten Trunk. Gleich nebenan, im Institut für Leistungsprüfung, wurde der Volkskörper auf Herz und Nieren geprüft: „Unser Masseur hat als junggedienter Soldat sicherlich das gesundeste Herz von uns allen: “Lautes, regelmäßiges Pochen. Das folgende Rumpeln dagegen stammt von einem „etwas lädierten Herz“. Weiter geht es in die Künstlerkneipe und zu den Werkstätten der Kunsthandwerker. Und dann in das Paula Modersohn-Becker-Museum: „Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden, schönes braunes Moor, köstliches Braun.“ Davon habe sich die Künstlerin inspirieren lassen, als sie auf ihren Bildern die Worpsweder malte: „Schwerfällig und ungelenk sind die Bewohner und Bebauer des Bodens, eine dumpfe Verhaltenheit ihres Innenlebens lässt die Menschen unbewegt, ungeistig, primitiv erscheinen.“

Mit diesen Modellen der Künstlerin nähert sich die Radioreportage langsam der Intention von Roselius, der Modersohn-Becker als eine „niederdeutsche“ Künstlerin verehrte und sammelte. Das „Niederdeutsche“ ging für ihn auf die „nordische“ und „germanische“ Kultur zurück, die der Quell aller Zivilisationen gewesen sei. Roselius wollte in der Böttcherstraße nicht nur Kaffee und Volksgesundheit verkaufen, sondern den Nachweis führen, dass die germanische Kunst „selbst schöpferisch war und in fremden Ländern wiederum Kunsterzeugnisse angeregt hat, die die Nachwelt irrtümlicherweise als selbstständige Schöpfung der betreffenden Länder wertete.“ Den Beleg dafür sollte seine „Sammlung Väterkunde“ erbringen, in der sich prähistorische Ausstellungsstücke versammelten. Für dessen Leiter Hans Müller-Brauel, war „die im Norden entstandene Kultur, also die des vorgeschichtlichen nordischen Menschen die höchste aller Kulturen.“

Den Ursprung der „nordischen Kultur“ verortete Roselius wiederum auf dem verschollenen Kontinent Atlantis, in der „arktisch-atlantischen Rasse.“ Dass Indianer und Germanen verwandt sein sollen, klingt zunächst nur nach einer Besessenheit des verschrobenen Kaffeekaufmanns. Die Theorie der atlantischen Germanen, die als ein völkisches Gesamtkunstwerk in der Böttcherstraße zu Stein wurde, entstand aber nicht im luftleeren Raum, sondern direkt vor der Machtübernahme der Nazis. Wie eng die Intention des Erbauers der Böttcherstraße mit dem rassistischen und völkischen Gedankengut der Nazis verknüpft war, erfahren die Hörer der jetzt veröffentlichten CD allerdings nicht. Im Booklet gibt es zwar einzelne knappe Verweise auf den ideologischen Rahmen. Nötig wäre allerdings eine umfassende historische Einordnung der Originaltöne aus dem Jahr 1932. Denn in der Böttcherstraße könnte aufgezeigt werden, wie über die niederdeutsche Heimattümelei die Akzeptanz der nationalsozialistischen Ideologie gesteigert wurde.

Bislang erfahren die vielen Besucher, die jeden Tag durch die Bremer Gasse strömen, jedoch nichts über diesen Zusammenhang. Die Veröffentlichung des historischen Radiodokuments ist ein erster Schritt in diese Richtung. Mit dem gut gefüllten Archiv müsste es in Zukunft möglich sein, dass neben der touristischen Vermarktung als einer romantischen Märchenstraße zugleich eine Darstellung der historischen Dimension der Böttcherstraße erfolgt.

Peter Ringel

Das Hörbuch ist im Museumsshop der Böttcherstraße und über den Buchhandel erhältlich. Die Doppel-CD kostet 19 Euro 50. ISBN: 39804677-3-2