: Geschmack für nix
In die Jahre gekommen, aber cooler als die anderen Stadtmagazine: Nach einem umfassenden Relaunch versucht der „Flyer“, eine Klientel zwischen Mainstream und Clubkultur anzusprechen
von JANA SITTNICK
Marc Wohlrabe möchte eines nicht: sein liebstes Kind beim falschen Namen nennen. „Wir sind kein Clubmagazin“, sagt der smarte Flyer-Herausgeber mit Nachdruck und hebt beschwörend die Hände. „Du kriegst uns morgens um zehn auch bei Lutter und Wegner am Gendarmenmarkt.“ Dort, wo die neue Mitte am mittigsten ist, hat man die „Trends und Termine“ ebenso parat wie in den hippen und weniger hippen Cocktailbars oder den Studentencafés mit Kerzen aufm Tisch. Nicht zu vergessen die Clubs, die laut Verlagsstatistik und trotz aller Beschwörungen, kein Clubmagazin zu sein, ein Drittel der Flyer-Verteilerstellen ausmachen.
Das kostenlose Infoheft im Hosentaschenformat, das Marc Wohlrabe in seinem Zeitbank Verlag seit sieben Jahren herausgibt, ist vor allem durch seine Covergestaltung bekannt geworden: Jede Ausgabe des Flyer ziert das Logo oder das Verpackungsdesign einer bekannten Marke, ob nun Ahoi-Brause, Afri-Cola, After Eight, Dash, Kinderschokolade, der gute alte Hundertmarkschein und dergleichen mehr. Die Wurzeln des Flyer liegen in der Berliner Clubkultur, wo es traditionell heißt: Party, Party, Party. Diese Partys wurden per Handzettel beworben, die vielen neuen, obskuren, oft nicht lizensierten Clubs und Nachtbars legten diese Zettelchen überall aus, wo sie Publikum zu gewinnen meinten. Beim Flyer, dem Stadtmagazin, tat man dann nicht mehr, als diese vielen Flyer einfach mal in Heftform zu bündeln. „Wir haben die Veranstalter persönlich gekannt, sind zu ihren illegalen Partys gegangen und haben über sie geschrieben, ohne ihre Adresse zu verraten“, so Wohlrabe. „Mit dem Flyer konnte man sich durch das Nachtleben der Neunziger navigieren“, sagt Heiko Zwirner, der damals Programmredakteur war und inzwischen Chefredakteur ist.
Mittlerweile hat sich das geändert, die swinging Clubkultur der Neunzigerjahre ist passe. Seit Anfang Oktober bemüht man sich in der Flyer-Redaktion darum, einen noch umfassenderen Überblick zu geben und auch um einen „feuilletonistischen“ Anspruch. So ist das Heft jetzt unterteilt in unterschiedlichste Rubriken, in Musik, Medien, Film oder Shopping. Es gibt ein Magazin und auch eine Modestrecke, und jede Ausgabe hat ein so genanntes Spezial, wo entweder zwanzig „Lieblingsrestaurants“ präsentiert werden oder die Torstraße als „spannendste Gegend in der Stadt“. Dazu ist die Schrift größer geworden, das Layout klarer und strenger, die Texte lesbarer. Kurzum: Der Flyer unterscheidet sich höchstens im Format noch von seinen großen Konkurrenten Tip und Zitty.
„Wir sind ein Stadtmagazin“, sagt Marc Wohlrabe, „mit Stadtgeschichten, Lebensgeschichten, Musik, Nightlife, Kultur und Trends.“ Heiko Zwirner aber fügt dann hinzu, dass sich Flyer durch „pfiffigere Texte“ von Tip und Zitty unterscheidet.
„Wir sind cooler als die anderen und generell in Geschmacksfragen überlegen.“ Ach so! So wie Zwirner dabei guckt, meint er das richtig ernst. Ein Stones- oder Sting-Konzert, so Zwirner weiter, wäre für den Flyer nicht interessant, da sei man von der Pflicht, über „alles“ zu berichten, entbunden: „Mies van der Rohe ja, Andy Warhol nein, weil zu abgeschmackt. Den kennt nun wirklich jeder.“
Wohlrabe und Zwirner sind Pluralisten, sie wollen eine Klientel ansprechen, das sich auf keinen Fall mit dem „Mainstream“ identifiziert und doch nicht nur in der Club-Szene unterwegs ist: ein anspruchsvoller Spagat.
Die „wilden“ Clubzeiten seien halt vorbei, beteuern Wohlrabe und Zwirner immer wieder, die illegalen Clubs gebe es nicht mehr, und die, die überleben konnten, seien nun etabliert. „Die haben ein eigenes Pressebüro“, so Zwirner, „die schicken ihre Termine nicht nur an uns, sondern auch an die B.Z. und an den Berliner Kurier.“ Der Flyer zeigt, auf welch samtenen Pfoten die Kommerzialisierung daherkommen kann. Foto-Modestrecken, wie die der Marke „Fila“, werden als ironische Version der Bravo-Foto-Lovestory inszeniert. Die Bilder gelten nur noch in der eigenen Verzerrung. Aber es geht ja um die Produkte, und die sollen gekauft werden, von einem „markenbewussten Publikum“.
Der Flyer ist in die Jahre gekommen, seine Leserschaft auch, und auch Mitte bleibt nicht ewig jung. Marc Wohlrabe weiß das. Der ehrgeizige Unternehmer und Clublobbyist mit Zugang zu Senatskreisen, der sein Blatt in mageren Monaten auch aus Eigenkapital finanziert, will sein Medienprodukt weiterhin gut vermarkten. Dazu gehört das passende Verhältnis von Anzeigenkunden und Konsumenten.
Mehr als ein Drittel der 80- bis 90-seitigen Berliner Flyer-Ausgabe ist mit Werbung durchsetzt. Das bedroht mitunter die Integrität des redaktionellen Teils, doch Wohlrabe betont nicht ungern, dass hinter dem Flyer kein Medienkonzern steht. „Wir machen ein Heft für nix“, sagt Wohlrabe nun etwas genervt, „und dafür, dass es kostenlos ist, bieten wir den Leuten ganz gute Qualität“.
Wollen die Leute denn im Flyer lesen? Zwirner räumt ein, dass man das Heft an Orten findet – in Bars, Turnschuhläden, beim Friseur –, die nicht zur Rezeption „tiefgründiger“ Texte geeignet scheinen. Ob sich das handliche A6-Format mit der trotz aller Veränderungen noch kleinen Schrift weiterhin bewährt, bleibe abzuwarten. Der Flyer erscheint im Zweiwochenrhythmus mit einer Auflage von 60.000, deutschlandweit, nämlich in einigen anderen großen Städten wie Hamburg oder Frankfurt, monatlich mit 250.000 Exemplaren.
Im Berliner Hauptbüro, das seinen Sitz in einem sanierten Hinterhof über einer Fremdsprachenschule hat (früher gab es hier die Künstlervereinigung „Apparate“ und den „Toaster“-Club) arbeitet ein zwölfköpfiges junges Redaktionsteam. „Wir sind ein ganz normales Unternehmen,“ sagt Wohlrabe lakonisch, „so wie Papi Staat sich das vorstellt, mit fest angestellten Mitarbeitern, Sozialabgaben und Auszubildenden.“
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