Die Köpfe sind nicht frei

Geschockt von der Verletzung des Weltmeisters Marko Baacke und im Schatten der Spezialspringer beginnen die nordischen Kombinierer heute im finnischen Kuopio ihre Weltcup-Saison

von KATHRIN ZEILMANN

Vorfreude, Ziele, Wunschvorstellungen können ganz schnell ausgelöscht werden. Marko Baacke hatte sicherlich Vorfreude verspürt. Im finnischen Kuopio wollte er in dieser Saison erstmals an den Start gehen und als amtierender Weltmeister der nordischen Kombination sich zum ersten Mal in diesem Spätherbst mit der Konkurrenz messen. Er hatte Ziele: die Olympischen Spiele in Salt Lake City. Und er hatte Wünsche, eine Medaille nämlich bei Olympia oder auch den ein oder anderen Weltcupsieg. Aber am Dienstag im Sprungtraining stürzte er.

Was zuerst harmlos aussah (Bundestrainer Hermann Weinbuch in einer ersten Einschätzung: „Marko ist zwar sofort wieder aufgestanden, aber wir wollten kein Risiko eingehen“), verwandelte sich kurze Zeit später in Lebensgefahr für den jungen Sportler. Eine Niere und die Milz mussten entfernt werden, eine Teilnahme bei Olympia ist auszuschließen. Vielmehr ist derzeit fraglich, ob der 21-Jährige mit einer Niere überhaupt noch Leistungssport betreiben kann.

Nichtsdestotrotz beginnt heute die Saison der Kombinierer. Unzählige Kilometer auf Langlaufskiern durch die Gletscherregionen des Hochgebirges oder auf Inline-Skates in sommerlichen Gefilden, zahlreiche Sprünge auf mitteleuropäischen Mattenschanzen und nordeuropäischen Anlagen mit Schneebelag sind absolviert – in einem Mekka des nordischen Skisports trifft sich an diesem Wochenende die internationale Elite der Winterzweikämpfer zum Weltcup-Auftakt, mehr als 22 Wettkämpfe folgen. „Die Köpfe sind nicht frei“, sagt Weinbuch über sein restliches Team. Trotzdem werden sie heute ihre Skier anschnallen, sich von der Schanze wagen, später dann die Langlaufstrecke hinter sich bringen.

Ronny Ackermann ist nun plötzlich der alleinige Hoffnungsträger. Weltcup-Zweiter wurde der 24-Jährige im vergangenen Winter, bei der WM in Lahti holte er die Bronzemedaille. Seine Ziele hat er klar definiert, Olympia heißt eines davon. „Und mein konkretes Ziel ist es, dort eine Einzel- und eine Mannschaftsmedaille zu holen.“ Nach mageren Jahren, als die deutschen Kombinierer sich auf den Plätzen 20 bis 30 tummelten, als niemand sie so recht beachtete und sie dafür belächelt wurden, dass sie an das nicht einmal uninteressante Schanzenspringen noch einen kraftraubenden Langlauf anschließen, befindet man sich in einem ganz neuen Licht der Öffentlichkeit – wenn auch noch meilenweit entfernt vom Bekanntheitsgrad der Spezialspringer.

Erfolge erzeugen Druck und Hunger nach neuen Erfolgen, Hermann Weinbuch, vor 20 Jahren selbst einmal Kombinations-Weltmeister, weiß das, aber sieht das nicht negativ. „Die Jungs machen sich selber Druck. Früher musste oft der Trainer antreiben und motivieren. Das ist heute nicht mehr so, den Willen haben sie alle selber.“ Weinbuch, so scheint es, weiß nicht recht, was er sich wirklich wünschen soll. Auf der einen Seite ist da die Hoffnung auf noch ein bisschen mehr Popularität („Die Leistung der Jungs sollte auch in der Öffentlichkeit honoriert werden“), andererseits genießt er auch die familiäre Atmosphäre, die seiner Sportart und deren Anhängerschaft noch zu eigen ist.

Jetzt aber müssen seine Schützlinge erst einmal zeigen, wie sie im Vergleich zur internationalen Konkurrenz stehen. Die Finnen und Norweger seien wieder stark, wie jedes Jahr eigentlich, glaubt Ackermann. Und dann ist da noch der amtierende Weltcupsieger Felix Gottwald aus Österreich. Bei einem Testwettkampf vorige Woche distanzierte er die Kollegen und bewies beachtliche Form. „Aber wir haben ja von Anfang an gesagt“, meint Weinbuch, „dass wir es in dieser Saison etwas ruhiger angehen lassen. Das Training ist auf Salt Lake City ausgerichtet.“

Der Berchtesgadener ist jemand, der glaubt, Erfolg sei mit einer gewissen Systematik bis zu einem bestimmten Punkt planbar. Dazu, so ist er sicher, brauche es eine vernünftige Nachwuchsarbeit. Deshalb ist Horst Hüttel aus Oberfranken, ehemals selbst aktiv, seit Ende der letzten Saison Cheftrainer für den deutschen Kombinierer-Nachwuchs. „Er soll die Talente an die Spitzengruppe heranführen“, erklärt Hermann Weinbuch. Dass das mitunter ganz einfach funktionieren kann, hat Björn Kircheisen unter Beweis gestellt. Der erst 17-Jährige aus Sachsen hat bereits in der abgelaufenen Weltcup-Saison sehr gute Leistungen aufblitzen lassen. Doch was ist schon planbar? Würde man Hermann Weinbuch heute auf dieses Wort ansprechen, würde er nur mit den Schultern zucken. „Er muss einfach nur wieder gesund werden“, hofft Weinbuch mit Marko Baacke. Und sämtliche Voraussagen über Platzierungen und Medaillen sind plötzlich ganz unwichtig.