Reimschmiede im Reihenhaus

Der Herbst des deutschen HipHops: Von Pennäler-Rap bis Pimp-Lyrics – die hiesige Szene weist eine enorme Stilvielfalt auf. Doch auf dem Höhepunkt des kommerziellen Erfolgs machen sich inzwischen die ersten Anzeichen einer Krise bemerkbar

von THOMAS WINKLER

„Ich hab’ eine gute Nachricht für alle: Rap ist tot“ („Motherfucker“, Fettes Brot)

Natürlich haben sie Recht, die Kritiker. Alle. Deutscher Rap ist pupertär und naiv, homophob und sexistisch, dauerbekifft und politisch nicht relevant. Deutscher Rap ist eine Witzveranstaltung mit infantilem Humor. Deutscher Rap kopiert mehr schlecht als recht die amerikanischen Originale. Deutscher Rap ist whack, ist schwul, deutscher Rap ist was für Mädchen.

Aber: HipHop in Deutschland ist sicherlich nicht tot. Elefantenhosen, Strickmützen und Carhartt-T-Shirts beherrschen das jugendliche Erscheinungsbild, die Werbung kokettiert mit den einschlägigen Images, kaum noch ein Film mit minderjährigem Zielpublikum kommt aus ohne rappende Nebenfigur. Und nicht erst gestern haben Sozial- und Kulturarbeiter HipHop entdeckt: vom Münchner Multikulti-Musical-Projekt mit Problemjugendlichen über die Graffiti-Werkstatt in der VHS um die Ecke bis zur mehrtägigen Sommerschule in der Berliner Volksbühne mit Kursen wie „Turntablism für Fortgeschrittene“.

Dass auch der Underground weiterhin lebendig ist, dokumentiert die dieser Tage erscheinende DVD „Battlemönche“. Die zentrale, 85-minütige Dokumentation folgt einer Breakdance-Crew zum Tanzwettkampf, Sprayern zu einer Ausstellung in die Hallen der Hochkultur und einigen Rappern zum Grillen und Kiffen am Strand. Dabei finden Tim Löhr und Andreas Höpfner stimmige, mitunter gar allzu romantisierende Bilder für die Faszination an den verschiedenen HipHop-Disziplinen. Als Fazit bleibt: HipHop lebt. Nur: Mehr haben weder die beiden gelernten Werbefilmer noch ihre Protagonisten zu sagen. In „Battlemönche“ bleibt die Szene seltsam sprachlos.

„Falls du noch nicht rappst, sag ich mal, du würdest’s gern/ Mach’s wie ich, reim Key Biscayne auf Kürbiskern/ Dein Lohn, mein Sohn, du kannst der Nächste sein“ („Bombe“, Eins, Zwo).

Rap, der musikalische Arm der HipHop-Kultur, scheint in der Krise. Die gute alte Jam im Jugendzentrum, wo die Talente ihre Skillz präsentieren konnten, ist nur mehr ein Mythos, von dem die Pioniere erzählen wie aus längst vergangenen Kriegstagen. Heutzutage wird vielleicht noch auf Schulhöfen gereimt, aber ansonsten scheint jeder Dauerkiffer, der noch seinen Namen unter einen Vertrag schreiben kann, längst bei einer Plattenfirma untergekommen zu sein. Dutzende von HipHop-Platten erschienen diesen Herbst, entsprechend viel Durchschnittsware war darunter. Auch Platten von etablierten Aktivisten gingen da zwangsläufig unter. Anfang November tummelten sich allein Curse, Samy Deluxe, Seeed und Fettes Brot noch in den mittleren Bereichen der Album-Top-100.

Andererseits: So wenig ist das gar nicht, immerhin knapp ein Viertel aller deutschsprachigen Platten in den Charts zu diesem Zeitraum, deren Spektrum von Wolfgang Petry bis zu Rammstein reicht. Eines ist sicher: Deutscher Rap hat sich etabliert. Die Ausfälle, die Vorschüsse, die die Industrie in den Sand gesetzt hat, gehören nun mal zum Geschäft.

„Mein Style ist wie Aids und trifft als Erstes schwule Crews“ („King of Rap“, Kool Savas)

Trotz aller Rückschläge ist DeutschHop kommerziell so erfolgreich wie nie zuvor. Aber gerade die erfolgreichen Acts sind in der Szene selbst wenig gelitten. So schwingt sich Kool Savas, trotz stetig steigender Verkäufe immer noch selbst ernannter „King of Rap“ (Songtitel) des Undergrounds, gern auf zum Gralshüter der wahren Werte. Zwar sei er in den letzten Jahren sehr viel milder geworden, verkündet er im Interview in der aktuellen Ausgabe des HipHop-Magazins Backspin, aber „so was wie Fettes Brot finde ich immer noch nicht gut“. Der Berliner sagt über das Hamburger Trio: „Deutscher HipHop wird von solchen Leuten vergewaltigt.“ Er selbst hält Battle-Rap hoch, als sei der Wettkampf mit Worten die einzige Ausdrucksmöglichkeit für Rap.

Als Antwort darauf brüllen Fettes Brot momentan „Schwule Mädchen“ quer durch die Charts, ihr, so sagen sie, „Statement gegen die homophoben Tendenzen in der HipHop-Szene“. Der in den einschlägigen Internet-Foren heftig diskutierte Track ist ebenso Antwort auf Savas wie auf die seit Jahren von anderen Wahrern der wahren Rap-Lehre vorgebrachten Vorwürfe, Fettes Brot und ihresgleichen seien „Mädchen“, weil sie sich nicht an den vorgegebenen Kanon der Ausdrucksmöglichkeiten halten, sondern sich um Erweiterung und Anpassung an die Lebensverhältnisse hierzulande bemühen. Dazu müsste wohl auch eine stärkere Repräsentation von Frauen gehören, aber der sommerliche Hype um die so genannten „female MCs“ führte direkt ins Abseits. Die Szene bleibt von einem „komischen konservativen, reaktionären Männerbild“ geprägt, so König Boris von Fettes Brot. In „Battlemönche“ etwa kommt nur eine einzige Frau zu Wort, eine Fotografin aus den USA. Immer noch, sagt Doc Renz von Fettes Brot, „gibt es die Angst, HipHop zu verraten, wenn man sich zu weit von den Erfindern entfernt“.

„Die Jungs aus dem Reihenhaus lassen die Reime raus“ („Die Jungs aus dem Reihenhaus“, Blumentopf)

In den USA kam Rap nicht aus den Vororten, hier schon. Wenn nun also Fettes Brot auf ihrem aktuellen Album „Demotape“ mit einem Track wie „Könnten Sie mich kurz küssen?“ eine Hommage an die Swing-Vergangenheit von Manfred Krug abliefern, dann steht das den schwanzfixierten Pimp-Lyrics von Savas diametral entgegen. Doch haben die beiden trotz so verschiedener Ansätze eines gemeinsam, nämlich einen ureigenen, originellen Zugang zu Rap: In Berlin-Kreuzberg, wo Savas lebt, spricht man nun mal anders und über anderes als in den Hamburger Vororten, in denen die Drei von Fettes Brot ihr Abitur drechselten. Trotz aller Unterschiedlichkeit konnten diese beiden Vorstellungen von Rap so nur hier entstehen und sind weit entfernt davon, nur mehr bloße Kopien von US-Entwürfen zu sein. Aber auch die – keine Sorge – gibt es weiterhin.

Seit vor nunmehr nahezu einem Jahrzehnt der von den Medien dankbar aufgebauschte Krieg der Reime ausbrach, als die Szene erstmals polarisiert wurde zwischen dem politisch bewussten Rap von Advanced Chemistry und den Charts-Pop der Fantastischen Vier, seitdem hat sich eine überraschende Vielfalt entwickelt, die hinter der hierzulande traditionell neidisch beäugten französischen Szene nicht zurückstehen muss: Ferris MC und sein fies kratzendes Kindermörderorgan auf der einen Seite, Curse und seine wenig selbstironischen Weinerlichkeiten auf der anderen, und Nico Suave lässt irgendwo dazwischen seine Pennäler-Lyrics fließen. Der Frankfurter D-Flame und Seeed aus Berlin haben es geschafft, Dancehall und Reggae einzudeutschen. Blumentopf nerven mit Studenten-Rap, Flowin’ Immo mit bekiffter Knarzigkeit und Das Department mit Hausbesetzermentalität. Während Die Firma düstere Gothic-Tracks liefert, albert Mr. Schnabel vorzugsweise über Samples aus der Plattenkiste seines Papa und Fischmob feiern ihr „Bonanzarad“. Bektas berichtet aus einem Leben als Deutsch-Türke, Meli aus ihrem als schwarze Deutsche und Tefla & Jaleel einfach aus Chemnitz. Und nicht zuletzt kamen mit Eißfeldts Jan-Delay-Platte, dem zweiten Album von Afrob, der „Wie wir“-Single von Skillz En Masse, „Unkraut“ von Phillie MC und dem Brothers-Keepers-Projekt sogar die über Jahre hinweg vernachlässigten politischen Inhalte wieder in den deutschen HipHop zurück.

All das in dieser Vielfalt ist Rap. Aber vieles davon, so viel ist sicherlich auch wahr, bewegt sich zum Teil immer noch auf eher mittelmäßigem Niveau. Und mitunter auch darunter. Bei immer mehr Produktionen sind die Beats international konkurrenzfähig, einige Produzenten arbeiten längst auch erfolgreich im Ausland. Die Inhalte allerdings sind immer noch arg reduziert, die Reime fließen noch lange nicht bei allen wirklich rund, die deutsche Sprache ist für manchen immer noch zu sperrig. Ausnahmen wie Samy Deluxe mit seinem souveränen Rhythmusgefühl, Dendemann von Eins, Zwo mit seinen fanatasievollen Wortspielen voller Binnenreime und die Absoluten Beginner, wo Eißfeldt erfolgreich halbwegs Weitsichtiges an seinen Polypen vorbeinäselt, bleiben vorerst das, was sie sind: eben Ausnahmen.

„Erstens halt ich nicht viel von Faustregeln/ Jeder soll sich seinen HipHop-Haussegen selbst auspegeln“ (Eins, Zwo: „Rechte Dritter“)

Deutscher Rap mag zu großen Teilen nichts taugen, aber: In welchem Genre taugt schon alles was? Ohne die Veröffentlichungsflut wären uns vielleicht auch Platten wie „Zwei“ von Eins, Zwo entgangen oder „Made in Germany“ von Afrob, „Haus und Boot“ von Kool Savas, „Fertich!“ von Ferris, „Brennstoff“ von Das Department, „Searching for the Jan Soul Rebels“ von Jan Delay oder auch „Demotape“ von Fettes Brot. Und im neuen Jahr warten Alben von Kinderzimmer Productions oder Chima. Deutscher Rap ist nicht tot. Nur manchmal riecht er halt schon ein wenig seltsam.

„Battlemönche“ – DVD (dartclub/ Sony); Ferris MC: „Fertich!“ (Yo Mama/Zomba); Fettes Brot: „Demotape“ (Yo Mama/Zomba); Blumentopf: „Eins A“ (Four/Columbia/Sony)