Jetzt ist die Rezession da

Zwischen Juli und September 2001 stieg die deutsche Wirtschaftsleistung nicht mehr, sie sank. Das vierte Quartal wird noch schlechter. Der Abschwung hat die wichtigsten Industriestaaten erfasst

von HANNES KOCH

Die Rezession hat jetzt auch Deutschland erreicht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt nicht mehr, sondern geht zurück. Im dritten Quartal dieses Jahres nahm der Wert aller im Inland hergestellten Waren um 0,1 Prozent ab. Das gab das Statistische Bundesamt gestern bekannt. Damit hat der ökonomische Abschwung nach Japan und den USA nun die drittgrößte Wirtschaft des Globus erfasst.

Bereits im zweiten Quartal 2001, von April bis Juni, war die deutsche Wirtschaftsleistung nach Angaben des Bundesamtes nicht mehr gestiegen, sondern ganz leicht zurückgegangen. Nach gängiger Definition ist eine Rezession dann eingetreten, wenn das BIP in zwei aufeinanderfolgenden Vierteljahren im Vergleich zum jeweils vorhergehenden Quartal sinkt. Damit befindet sich Deutschland seit Oktober in einer Rezession. Denn dass das vierte Quartal schlechter wird als das dritte, halten die meisten Ökonomen für ausgemacht.

Nun überlegt die Forscherzunft verstärkt, warum sie mit ihren Prognosen so daneben gelegen hat. Die Realität hat sie komplett überholt. Vor einem Jahr noch war man sich einig, dass die deutsche Wirtschaft 2001 um rund drei Prozent wachsen werde, nun wird die Steigerung im gesamten Jahr unter ein Prozent fallen.

Gustav-Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt die Hypothese auf, dass es in der globalisierten Wirtschaft „neue Übertragungswege“ geben könne, die ökonomische Einflüsse schneller und stärker als früher von einer Weltregion in eine andere leiteten. Möglicherweise hätten die Wirtschaftspropheten bislang unterschätzt, wie zügig transnationale Konzerne Entwicklungen in einem Teil der Welt in eine Gesamtstrategie umsetzen würden, so Horn. Die Wirtschaftsschwäche in den USA wirkt sich eventuell schneller als bisher gedacht auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen auch in Europa aus.

Außerdem überlegt DIW-Forscher Horn, ob sich in der Weltgesellschaft Stimmungen und Einschätzungen unmittelbarer verbreiten. Die Aufmerksamkeit für Geschehnisse auf anderen Kontinenten hat zugenommen: Die hiesigen Verbraucher wissen, wie die Konsumenten in den USA reagieren und richten ihr Verhalten darauf ein. Bei Investoren ist es ähnlich. Vielleicht werden dadurch Boom wie Krise schneller übertragen, so Horn.

Für den Abschwung in Deutschland sind vor allem die rückläufigen Bauinvestitionen (minus fünf Prozent im dritten Quartal) und die Ausgaben für neue Maschinen (minus sechs Prozent) verantwortlich. Staatlicher und privater Konsum legten dagegen noch um ein Prozent zu.

Die Wirtschaftskrise hat jetzt die meisten Industrieländer erfasst. Die Europäische Union rechnet mit 0,7 Prozent Wachstum jeweils für 2001 und 2002. Einen höheren Zuwachs zu Beginn des Jahres vorausgesetzt, dürfte die Rate zur Zeit deshalb auch nach EU-Einschätzung bei Null oder darunter liegen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die OECD für ihre Mitglieder, die 29 reichen Industrieländer. 0,7 Prozent beträgt der BIP-Zuwachs in 2001 – in der zweiten Jahreshälfte herrscht Rezession.

Weil nun auch nach Ansicht der Europäischen Zentralbank (EZB) die Erholung länger auf sich warten lässt, deutet sich eine Änderung der europäischen Finanzpolitik an. Wie Äußerungen von EZB-Ökonomen in der Financial Times belegen, könnte die Zentralbank den europäischen Stabilitätspakt etwas großzügiger auslegen. Bisher dürfen sich die Staaten mit maximal drei Prozent ihres BIP neu verschulden. Diese Grenze könnte für Deutschland zum Problem werden. Denn angesichts niedrigerer Steuereinnahmen könnte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gezwungen sein, mehr Schulden aufzunehmen, um die Wirtschaft durch Sparpolitik nicht vollends abzuwürgen.