Nicht unverständlich

Malerische Kompetenz: Die Schlumper-KünstlerInnen mit eigenem Katalog  ■ Von Christian Mürner

Werner Voigt ist ein anerkannter Maler religiöser Motive. Er gestaltete unter anderem 1999 den Innenhof des Gemeindehauses der Gnadenkirche mit „Rauchenden Engeln“ und der feinsinnig abweichenden Bibelzeile „denn sie wissen nicht was sie tun solln“. Voigt ist stets gut gekleidet, schließlich war er bis 1984 Herren- und Damenschneider in „Alsterdorf“. Dann stieß er zur Künstlergruppe Die Schlumper, die von Rolf Laute initiiert und bis heute geleitet wird und die derzeit mit einer Ausstellung im Helms-Museum vertreten ist. Vorher hatte Voigt nicht gemalt; in den Ateliers der Schlumper zeichnete er seine Lebensgeschichte in Bildern auf.

Eine Auswahl der Schlumper-Kunst liegt nun unter dem Titel Die Schlumper. Kunst ohne Grenzen in einem eigenständigen Katalog vor, der kommenden Donnerstag in der Kunsthalle präsentiert wird. Siebzehn Künstler werden in ihm mit Bildern und Biografie vorgestellt, darunter mehr als die Hälfte Künstlerinnen, etwa Inge Wulff oder Hannelore Dietz. Der Herausgeber Günther Gercken, ein renommierter zeitgenössischer Kunstkenner, schreibt im Vorwort: „Natürlich ist diese Kunst zunächst fremdartig und schwer verständlich, aber nicht weil sie von geistig behinderten Personen stammt, sondern weil alle wirkliche Kunst in ihrer eigentümlichen Gestaltung zunächst fremdartig ist.“ Gercken nennt es mangelnden Respekt vor den Bildern, wenn man sie auf die Biografie ihrer Urheber reduziere.

Auch der Direktor der Kunsthalle, Uwe M. Schneede, macht in seinem kurzen Geleitwort darauf aufmerksam, dass man mit der grundsätzlichen Frage „Ist das Kunst?“ dem genauen Hinschauen ausweiche. Ungewöhnliche Ausdrucksformen irritieren, verschieben festgelegte Anschauungen und können in eine bisher unbeachtete Richtung weisen. Viele Bilder im Schlumper-Katalog zeigen eindrücklich diese malerische Kompetenz.

Das Problem der Betrachtung und der Interpretation behandelt auch eine Neuerscheinung mit Beiträgen einer Tagung unter dem Titel Weltsichten. Die „Fachtagung zur Kunst behinderter Menschen“ fand vor einem Jahr in Hamburg statt. Dabei kam es zu einem Eklat, weil der damalige Leiter des Kunstvereins, Stephan Schmidt-Wulffen, sich weigerte, Bilder von behinderten Künstlern im Vorraum seiner Institution auszustellen. Zur Kunst gehöre die Reflexion des Künstlers zu seinem Werk und dem Kunstbetrieb, das sei bei Menschen mit mentaler Beeinträchtigung nicht gegeben.

Die Beiträge in Weltsichten belegen, dass die Auseinandersetzung über die vereinfachende Entgegensetzung von Kunst und Sozialarbeit inzwischen längst hinaus ist. Klaus Mecherlein, Leiter einer Kunstwerkstatt in München, de-monstriert eine differenzierte theoretische Argumentation zur Außenseiterkunst. Die Wiener Künstlerinnen Christine und Irene Hohenbüchler stellen detailliert ihr praktisches Konzept der multiplen Autorschaft vor. Das ästhetisch beeindruckende Environment der Zusammenarbeit der Hohenbüchlers mit der Linzer Kunstwerkstatt wurde an der letzten dokumenta X in Kassel gezeigt.

In Hamburg bietet die Galerie der Schlumper in der alten Rinderschlachthalle regelmäßig die Gelegenheit, mit den Bildern und den Künstlern in ihren Ateliers in Kontakt zu kommen. Möglicherweise inszeniert sogar der Allround-Künstler Karl-Ulrich Iden eine persönlichen Führung.

Buchpräsentation: Donnerstag, 29.11., 19 Uhr, Kunsthalle (Rotunde), Künstler und Herausgeber sind anwesend

Günther Gercken/Christoph Eissing-Christophersen (Hrsg.): Die Schlumper. Kunst ohne Grenzen, Springer-Verlag Wien, 2001, 219 S., 78 Mark

Angela Müller/Jutta Schubert (Hrsg.): Weltsichten. Beiträge zur Kunst behinderter Menschen, Edition Tiamat, Hamburg 2001, 275 S., 49.80 Mark

Das Helms-Museum in Harburg (Museumsplatz 2) zeigt die Ausstellung Die Schlumper – Ein unvermuteter Glücksfall; bis 5.1.02