Vom Spitzkohl verführt

■ Wenn Würstchen nicht mehr Würstchen ist: taz-Redakteurin mutiert zum Bio-Fan und muss trotzdem keinen Kredit aufnehmen

Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Er sah ganz gewöhnlich aus. Und auf die Sorte, auf die hab ich noch nie gestanden. Aber sein Name sollte Programm werden: Der Spitzkohl kriegte mich rum. Schon am allerersten Abend, nachdem er mit der Biokiste vom Gut Wulksfelde gekommen war. Ich machte ihn heiß, grub meine Zähne in sein köstliches Fleisch und wuss-te: Ich will es. Heute. Morgen. Immer wieder: Lebensmittel aus biologischer Erzeugung. Die pure Lust am guten Essen.

Politisch hatte ich Bio-Essen immer schon befürwortet. Aber privat schreckten mich – da bei der taz beschäftigt – die Preise. Wozu zwei Mark für ein Würstchen ausgeben, wenn ich dafür bei Penny vier bekomme? Würstchen ist Würstchen. Und bei dem vielen Obst, das ich esse – das könnte ich in Bio gar nicht bezahlen. Müsste also weniger Obst essen – wäre auch ungesund. Aber plötzlich war das Würstchen-Schnäppchen der Mitgliedsbeitrag für die Risikogruppe. Hatten nicht viele der Creutzfeldt-Jakob-Kranken in Großbritannien jahrelang Billig-Fleisch gegessen? Ich stieg erst mal auf Käse um. Allerdings noch von Penny.

Für den endgültigen Kick brauchte es noch eine schlechte Nachricht: Bei der netten Tante meiner Mitbewohnerin wurde kurz nach Weihnachten ein Gehirntumor diagnostiziert. Ein halbes Jahr später war sie tot. Der Körper, begriff ich, ist mit seinen Kräften irgendwann einmal am Ende. Ist verletzlich. Meiner auch. Vielleicht kommt irgendwann die Quittung für das Schnäppchen-Essen. Was hilft mir dann die Mark, die ich gespart habe? Gesundheit hatte einen neuen Stellenwert gewonnen. Wieso nicht alles tun, was möglich ist, um sie zu erhalten? Klar ist Bio-Essen teurer. Ein Urlaub in Schottland kostet schließlich auch mehr als einer in der Lüneburger Heide. Trotzdem fahre ich nach Schottland – weil es sich lohnt. Ich tastete mich vor in die ökologische Welt, surfte im Internet mal zum Gut Wulksfelde und bestellte eine Kiste „Mini 30“-Gemüse und Obst für 30 Mark.

Innerhalb von drei Wochen war ich komplett auf ökologische Erzeugung umgestiegen. Diese Freude, wenn einem jeden Mittwochmorgen ein freundlicher Herr eine Kiste mit Leckereien direkt an die Wohnungstür bringt. Ich machte Bekanntschaft mit Pastinaken, frischer Roter Beete, Schwarzwurzeln, Kochbirnen, Postelein (einer Art Feldsalat) – und meiner heißen Liebe Spitzkohl. Die hätte ich bei Penny niemals kennen gelernt.

Und kann man so liebe neue Freunde mit billiger Antibiotika-Sahne begrüßen? Der Aspekt „ökologische Erzeugung“ trat schnell zurück hinter das Argument „schmeckt besser“. Bio-Milch, Bio-Joghurt, Vollkorntoast und Bio-Käse sind vor allem eines: Delikatessen. Dabei gilt wie beim Sport: nicht übertreiben. Sonnabends gibt es immer noch konventionelle Croissants und Brötchen. Auch ein McDonalds-Besuch ist moralisch drin. Aber da schmeckt es nicht mehr. Wozu Burger essen, wenn ich Spitzkohl in Sahnesoße mit Vollkornnudeln haben kann? Dabei kos-tet das kulinarische Paradies weniger, als ich dachte. Neun Mark habe ich pro Tag in meiner Penny-Zeit für Waren des täglichen Bedarfs ausgegeben, elf sind es jetzt. Macht 60 Mark mehr im Monat. Das war noch drin. Weil es sich lohnt. Essen ist Leben. Heike Dierbach