Wenn Bernd Rumkugeln will

■ Ein Arbeitstag im Leben des Findorffer Markthändlers Kurt Richter

Allmählich ziehen die letzten Nachtschwärmer nach Hause. Es ist Donnerstag früh, 3 Uhr. Kurt Richter duscht. Gleich beginnt sein Arbeitstag. Gestern abend ist der Hermann da gewesen und hat Äpfel gebracht. Am Morgen kam Christian mit den Eiern, am Dienstag Karl mit den Kartoffeln. Kurt Richter öffnet das Tor zur Scheune. Ein kurzer Check – alles ist da. Zwei angefaulte Apfelsinen landen auf dem Komposthaufen, dann werden die Kisten verstaut. Wenig später fährt Kurt mit seinem Lieferwagen vom Hof.

Heute Morgen ist er der Erste auf dem Findorffer Wochenmarkt. Als Kurt seinen Hänger auf die richtige Stelle zieht, zeigt die Uhr halb fünf. Seit 20 Jahren ist das sein Platz, dienstags, donnerstags und sonnabends. Anfang der Achtziger Jahre hatte er mit einem kleinen Kartoffelstand angefangen. Die Partei der Grünen war gerade gegründet, da war Kurt der erste Händler auf dem Wochenmarkt, der ökologisch angebaute Kartoffeln verkaufte.

Kurt weiß, warum er so früh kommt. Das Aufbauen kos-tet Zeit. Der Verkaufsstand ist gewachsen. Heute beherbergt der Bau aus Zeltstangen, Planen und Brettern nicht nur jede erdenkliche Obst- und Gemüsesorte, sondern das ganze Sortiment eines kleinen Bioladens. Gegen 7 Uhr stellt Kurt die letzte Obstkiste auf den Holztresen. Die ersten Kunden schlendern bereits über den Markt. Hier zupft Kurt noch schnell einen Kopfsalat zurecht, dort wischt er etwas Erde von einer Mohrrübe. Es kann losgehen. Der Basar ist eröffnet.

„Moin Kurt!“ Ein Mann mit grüner Schürze und blondem Schnurrbart nähert sich dem Öko-Stand. Das ist Bernhard, der Blumenhändler. „Eigentlich will er, dass wir ihn den Rosenkavalier nennen“, erzählt Kurt. „Doch alle sagen nur Staudenbernd.“ Kurt weiß, was Staudenbernd will. Jeden Morgen holt er sich ein Bio-Croissant und eine Öko-Rumkugel. Wie gut, dass der Bäcker längst da war. Seine Backwaren bezieht Kurt Richter von einer Bäckerei aus Vegesack. Noch ofenfrisch werden ihm die Brote, Brötchen und Kuchenstücke an den Stand gebracht. Das Gemüse stammt größtenteils von Bauern aus der Region. Lange Fahrtwege zu vermeiden, gehört schließlich zum ökologischen Gedanken.

„Haben Sie frischen Thymian“, fragt ein Kunde. Kurt hat keinen Thymian. Ohne zu zögern, schickt Kurt den Mann zur Konkurrenz. Der Markthändler kennt seine Kunden, die meisten beim Vornamen. „Pass auf, der Typ da kauft gleich eine Tüte Datteln“, flüstert er. Der Mann mit dem langen Mantel und dem Wollschal kauft heute keine Datteln. Kurt wundert sich: Vorführeffekt? Aber nein. Das Dörrobst stand letzte Woche noch woanders. Manche Öko-Kunden sind erschreckend konservativ. Stammkunden, deren Namen Kurt nicht kennt, werden nach ihren Bestellungen benannt. „Sechs einfache“ ist eine Frau, die jeden Markttag sechs körnerlose Brötchen bestellt. Ein Ehepaar kaufte jede Woche ein bestimmtes Brot – im Abo sozusagen. Seit einiger Zeit kaufen sowohl der Mann als auch die Frau. Der Öko-Obstler fragte nach: Die beiden haben sich getrennt.

Um halb neun hat Kurt erst ein paar Brote, einen Salat und Möhren verkauft. Es regnet. Die Leute kommen nicht aus ihren Häusern. Besorgt schauen die Händler zum Himmel. Kurts Laune ist ungetrübt. Er gießt Kaffee in den Deckel seiner Thermokanne. Wenn es in ein paar Wochen richtig kalt ist, wird es auch mal Glühwein geben. Kurt hat keine Angst vor einem schlechten Geschäftstag. „Die Öko-Kunden kommen immer etwas später“, sagt er. Lange Haare, lange schlafen? Kurt macht Scherze über vermeintliche Körnerfresser-Klischees. Eine Stunde später hat er alle Hände voll zu tun. In jedem Scherz ist eben doch ein (Voll)körnchen Wahrheit enthalten.

Ebbe Volquardsen