Löchriges Völkerrecht

■ Rückblick auf eine wortreiche Woche während des Afghanistan-Krieges: Grüne, SPD diskutieren nicht nur juristische Folgen der Bombardements

„Das Völkerrecht hat versagt, die Lücke wird de facto durch die Intervention der USA gefüllt.“ Diese Aussage war diese Woche mehrfach zu hören – bei Diskussionsveranstaltungen von Grünen und SPD zu den Folgen des Afghanistan-Krieges. Kein Wunder, dass auch die Referenten teilweise identisch waren. An drei aufeinander folgenden Tagen musste der emeritierte Völkerrechtler Gerhard Stuby in die Bütt, das erste Mal am Dienstag bei der grünen Bürgerschaftsfraktion. Anwesend waren etwa 50 Menschen, meist Grüne aus Fraktion und Basis. Stuby bezweifelte zunächst die Beweislage: Es sei doch bislang gar nicht sicher, dass Ussama bin Laden Urheber des Terrors in den USA sei. „Die Attentate“, so der Völkerrechtler, „könnten auch aus den USA selbst hervorgegangen sein.“ Die grünen Realos schüttelten entsetzt die Köpfe. Stuby bemängelte vor allem, dass die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates den US-Einsatzes nicht präzisiert haben. Seiner Aufassung nach sind die jetzigen Militäraktionen völkerrechtlich nicht gedeckt. Bei der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer JuristInnen (ASJ), am Mittwoch im kleinen Kreis von 15 Teilnehmern, machte Stuby unmissverständlich klar, wo die Motive der US-Angriffe zu suchen seien: „Es geht weniger um die Rechte der Frauen als vielmehr um Ölinteressen.“

Stuby, 1978 wegen Zusammenarbeit mit Kommunisten in der Friedensbewegung aus der SPD ausgeschlossen und seit 1989 wieder dabei, hatte den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan 1979 zumindest in Schutz genommen. Jetzt hält er die Intervention der Amerikaner für eher schädlich als nützlich.

Sowohl bei den Grünen als auch bei den Peterswerderaner Sozialdemokraten referierte Michael Zürn, Professor für Internationale Politik an der Bremer Uni. Zürn wies die Idee als naiv zurück, Armutsbekämpfung diene automatisch unmittelbar der Terrorismusbekämpfung. „Terror kommt nicht aus den allerärmsten Regionen, sondern resultiert aus abgebrochenen Modernisierungsschüben. Mehr schlechte Entwicklungshilfe führt ungünstigstenfalls zu einem Mehr an transnationalem Terrorismus.“ Zürn kritisierte aber gleichzeitig, dass die UN-Resolution den eigentlich „diffusen“ Gegner einseitig verstaatlicht habe: „Das jetzige Völkerrecht ist nicht in der Lage, die neue Situation angemessen zu erfassen.“ Er kritisierte außerdem den dauernden Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. „Mal wird interveniert, mal nicht. Wenn im Iran in zehn Jahren ein ähnliches Attentat passiert, muss es allgemeingültige Regeln geben, was die dann dürfen.“

Militärische Interventionen müssten Zürn zufolge bestimmten Kriterien genügen. Ein internationales Gremium müsse die Beweise bestätigen. „Das darf nicht nur die NATO sein.“ Außerdem sei es wichtig, deutlich zwischen Zivilisten und Soldaten zu unterscheiden. Sonst führe der Krieg zu einer großen Zahl von Opfern unter der „normalen“ Bevölkerung. „Der Einsatz selbst muss verhältnismäßig und transparent sein.“ Insbesondere das Transparenzkriterium sei im Moment nicht erfüllt.

Das sah auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröningbeim ASJ-Meeting nicht anders. Die Amerikaner würden derzeit nach dem Prinzip verfahren: „Was wir sagen, ist wahr, aber wir sagen nicht alles, was wahr ist.“ Kröning sitzt im Militärausschuss des Parlamentes und hat gegenüber allen anderen den Vorteil, dass er zudem über aktuelle nachrichtendienstliche Informationen verfügt. Für Kröning besteht an al-Qaidas Urheberschaft kein Zweifel - aber: „Die sitzen nicht nur in Afghanistan, sondern zum Beispiel auch in Hamburg.“ Kröning sprach sich gegen eine mögliche militärische Antwort unter deutscher Beteiligung auf das ABC-Waffen-Arsenal des Irak aus.

Die Gesprächsatmosphäre beider Abende war insgesamt ruhig. Es gab viele Sachfragen, Zweifel wurden laut, vorsichtige Einschätzungen geäußert. Als ein grünes Basismitglied Zürn fragte, wie er denn im Bundestag abgestimmt hätte, antwortete der Politologe eher zögerlich denn bestimmt mit „Ja“. Bei den Grünen war anders als bei der SPD für kurze Momente die Spannung der letzten Tage und Wochen spürbar. Als ein Diskutant vom zumindest „imperialistischen Gehabe“ der USA sprach, verteidigte der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn vehement die US-Militärstrategie. Unübersehbar geht es ums moralische Prinzip. Die ASJ hingegen diskutierte stärker den Wortlaut des Bundestagsbeschlusses und dessen Tragweite. Mit dem Geist der Buchstaben müsse schließlich das Kräfteverhältnis in der SPD bewegt werden. Doch nicht nur dort: „Wir mussten auch der Marine signalisieren, dass sie über das Horn von Afrika nicht hinaus kommt. Sonst wollen die Dauerpräsenz im Persischen Golf und verlangen eine neue Fregatte nach der anderen“, sagte Kröning.

Thomas Gebel