Splitternde Monolithen

Die Malerin Angela Dwyer hat ein Faible für Boxfights und Farbschichtungen: Beides ist ein Kampf mit der Materie. Die Galerie Volker Diehl stellt zur Zeit ihre Gemälde aus

Angela Dwyer ist sehr reich. Davon merkt der Besucher ihres Ateliers zunächst jedoch nichts. Der kahle, nicht sonderlich hohe Raum hat keine Heizung und bei einbrechender Kälte sind die Arbeitsbedingungen dort nicht sehr komfortabel. Auf dem Boden liegen wahllos verstreut Tuben von Ölfarben, die Fläche dazwischen ist übersät mit Farbflecken. An den Wänden stehen die Bilder der Malerin, daneben hängen einige Fotos.

Abgelichtet sind Boxer. Menschen, die sich prügeln, die sich nach einem vorgeschriebenen Regelwerk gegenseitig Schmerzen zufügen. Der Boxkampf fasziniert die Künstlerin. Deren monumental gestapelte Farbfelder lassen ebenfalls heftige Kämpfe vermuten. Dennoch weiß die zierliche Malerin, dass es nur ihre Idee von dem Sport ist, für die sie sich begeistert. „Aber Angela, für Boxer ist das anders“, hat ihr einmal ein Bekannter erklärt, dem sie ihre Beobachtung eines Ringkampfes schilderte. Vielleicht ist für die Sportler wirklich der Sieg und nicht der Kampf wichtig. Die Malerin jedoch ist berauscht von der Möglichkeit, in einem kurzen Moment ungeheurer Spannung all das zu konzentrieren, was sich über einen langen Zeitraum an unterschwelliger Kraft aufgebaut hat.

„Chthonic“ ist der Titel ihrer Ausstellung in der Galerie Volker Diehl. Das bedeutet im Griechischen soviel wie das Unterschwellige, der Unterleib, der Bauch, aus dem heraus gemäß den populär-anatomischen Vorstellungen die Gefühle kommen. Dennoch sind ihre gespachtelten Farbflächen weit von jeder spirituellen Emotionalität, wie sie ja gerade bei monochromen Malern sehr beliebt ist, entfernt. Die Farben glühen eigenständig ohne eine idelle Verklärung zu benötigen. Rot pulsiert lava-gleich auf der Leinwand, wird von Schwarz in der Fläche gehalten, von Gelb ausgebremst. Jede der Schichtungen öffnet souverän tiefreichende Farbräume, die fertigen Leinwände erscheinen wie vibrierende Monolithen, zusammengesetzt aus Unmengen separater Splitter. „Ich bearbeite Schwarz so lange, bis es mir wie geronnenes Glas erscheint“, beschreibt die aus Neuseeland stammende Angela Dwyer ihre Arbeit, „das ist meine Schlacht mit dem Material.“

„Man spürt, wenn der Gegner fällt“, sagt sie – und gewinnt den Kampf immer. Das kommt nicht von ungefähr, denn die 40-jährige Malerin begann ihr Studium zunächst als Kunstkonservatorin: „Ich habe schon echte Turner-Bilder unter der Lupe gehabt,“ erinnert sie sich. Die systematische Untersuchung von Pigmenten kommt ihren Arbeiten nun ebenso zugute wie die exakte Nachmischung von Farbtönen bei den alten Meistern: „Meine dicken Farbschichten reißen nicht, auch wenn die Bilder älter werden.“

Letztlich jedoch tritt die Technik in den Hintergrund, weil an den Bildern ablesbar ist, dass es um das Verborgene, die pulsierende Kraft unter der Oberfläche geht. Die Konzentration in der Einsamkeit vor der Leinwand zu finden, ist für die zweifache Mutter nicht immer einfach. „Ich muss im Atelier völlig umschalten, denn in der Malerei sind ganz eigene Dinge wichtig,“ meint sie. Auch wenn die Malerei sicher nicht „das Absolute“ sei, könne zumindest sie nicht aufhören zu malen.

„Leviathan“ hat sie ein Bild genannt, ein anderes widmet sie dem griechischen Gott Dyonisos. „Die Mythen und die Religion prägen doch unser ganzes Leben“, bekennt Dwyer, und schöpft daher aus diesen Quellen. Das gelingt ihr mit einer Überzeugungskraft, die Zugang zu reichen, prächtigen Farbräumen eröffnet, die auch in der Malerei nur selten betreten werden.

RICHARD RABENSAAT

Bis 10.1. 2002, Di-Sa 11-18.00 Uhr, Galerie Volker Diehl, Zimmerstraße, 88-91