adoption nach asien oder afrika
: Wir finden Eltern, die sich um Sie sorgen, heißt es bei Aprikosenschnaps in der NGBK

Von der Hoffnung auf eine neue Familie in Übersee

Wer in diesen lichtarmen Wintertagen die eigene Geworfenheit in die Welt besonders schmerzlich spürt, kann sich adoptieren lassen. Zuständig ist ein Büro, das sich derzeit in der Ausstellungshalle der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Kreuzberg befindet. Der schmale Raum weckt Vertrauen: An der Wand eine Weltkarte, davor ein schlichter Schreibtisch, daneben ein hellgrünes Radio sowie eine Flasche Aprikosenschnaps. „Wir finden eine Familie, die sich um Sie sorgt“, verspricht die Frau hinter dem Schreibtisch. Sie ist Chefin der Organisation „Adopted“ und bereitet die Formulare vor.

Seit 1996 vermittelt die 33-jährige Künstlerin Gudrun F. Widlok Europäern symbolische Patenschaften in Afrika, Asien und Südamerika. Um Abhilfe zu schaffen, sagt sie, gegen „die psychische Verwahrlosung und die Einsamkeit in der entwickelten kapitalistischen Welt“. Kurz, gegen weit verbreitete Gefühle des Abgleitens, die unser Dasein regelmäßig bestimmen. Rund 80 Interessenten aus Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich haben sich allein seit März 2000 bei Gudrun F. Widlok kostenlos registrieren lassen. Im April nächsten Jahres wird die Künstlerin mit dieser Kartei in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, ein Büro eröffnen. Kontaktpersonen vor Ort werden helfen, Familien für die europäischen Klienten zu finden. Zum Beispiel für Rupert, einen 29-jährigen Kapitän aus Trier, für Mira, eine 30-jährige Geschäftsführerin aus Hamburg, für Santiago, einen 41-jährigen spanischen Barmann aus Cuenca. Der Katalog bedürftiger Menschen liegt im Adopted-Büro aus.

Gundrun F. Widlock hatte sich selbst gerade ein wenig ziellos und melancholisch im Alltag versunken gefühlt, als vor fünf Jahren eine Wurfsendung bei ihr im Briefkasten lag. Eine wohltätige Patenschaftsorganisation suchte deutsche Geldgeber für Kinder aus der Dritten Welt. Die kleinen Jungs und Mädchen aus Indien, Nigeria und Korea guckten traurig aus den Fotos heraus, und Gudrun F. Widlock klebte ein Bild von sich selbst dazwischen. Seither kehrt sie das herkömmliche Patenschaftsprinzip mit ihrem mobilen Adoptionsbüro ironisch um. „Auch die Menschen hier empfinden Verlorenheit. Sie suchen zum einen Gesellschaft, zum anderen wollen sie ungebunden sein“, meint sie. Es geht bei der Kontaktvermittlung nicht um finanzielle Transfers, sondern um einen Kulturaustausch, um große Worte wie Differenz und Identität, im Einzelfall schlicht um die Erfahrung von Fremdheit und Heimat.

Tatsächlich scheint es vielen Menschen besser zu gehen, sobald die Hoffnung auf eine neue Familie in Übersee besteht. Der 20-jährige Javier aus Burgos schreibt im Adopted-Pressematerial: „Ewig bin ich nicht mehr vor die Tür gegangen. Ich wollte die da alle nicht sehen. Im Internet bin ich dann auf die Organisation aufmerksam geworden. Ich habe mich für die Patenschaft beworben und mir wurde eine Familie vermittelt. Mit diesem Wissen im Kopf gehe ich nun wieder zu öffentlichen Veranstaltungen. Ich kann wieder Freunde treffen und fühle mich als soziales Wesen.“ Der 33-jährige Ferdinand aus Paris meint: „Ich habe jetzt das Gefühl, als könne ich endlich zusammenhängend denken.“ Es ist eine schöne Aussicht, dass die Unzulänglichkeiten des Leben mit einer Patenschaft einfach verschwinden.

Wer sich beim Adopted-Büro registrieren lassen will, muss Name und Adresse in ein Formular eintragen, bedauernswert in die Kamera gucken und ein Glas Aprikosenschnaps mit der Chefin trinken. Eine Verkäuferin aus Charlottenburg, die sich an diesem grauen Nachmittag gerade von Widlok beraten lässt, spricht vom schlechten Gewissen ihren leiblichen Eltern gegenüber. Eine andere Frau verzichtet auf das Angebot, sagt sie, weil sie schon genug Probleme mit ihrer eigenen Verwandtschaft hat. Die meisten von Widloks Berliner Besuchern haben indes einfach nur Angst, am Ende nicht vermittelbar zu sein.

KIRSTEN KÜPPERS

Das Adopted-Büro befindet sich noch an diesem Wochenende in der Ausstellung „Familienbild“ in der NGBK, Oranienstraße 25. www.adopted.de