Schluss mit Schmuddel

Berlin hat jede Menge Modeschulen und Designer, aber die meisten Leute sind schlecht angezogen. Das soll jetzt mit der Ausstellung „Berliner Chic“ im Nikolaiviertel anders werden. Eine Dauerschau

Wer es sinnenfroh wagt, Berlin den Titel einer Modestadt anzuhängen, der hat ein Legitimationsproblem. Hip ist nicht Cashmere, sondern Khaki. Modisch geshoppt wird nicht bei Prada, sondern im Kiez-Secondhand. Hier ist es schick, kreativ zu sein, aber nicht kreativ, sich schick anzuziehen. Deshalb gibt es hier trotz fünf Modeschulen und über 150 selbstständigen Modemachern eine Menge schlecht angezogener Menschen.

Das soll nun alles anders werden. Zumindest was das Image der Schmuddelmetropole anbelangt. Die am Freitag eröffnete Dauerausstellung „Berliner Chic, Mode von 1820 bis 1990“ im Ephraim-Palais will mit rund 200 Exponaten aus 170 Jahren Berliner Konfektionsgeschichte zeigen, dass die Stadt einst Modegeschichte schrieb. Schließlich sei die Konfektion nicht irgendwo, sondern an der Spree erfunden worden, sagt die Ausstellungsmacherin Christine Waidenschläger. Und noch bis vor 20 Jahren habe hier in jeder dritten Familie wenigstens ein Mitglied in der einstigen Boombranche gearbeitet. 1972 belegte Westberlin mit 26.000 Beschäftigten in 350 Betrieben und einem Jahresumsatz von einer Million Mark im internationalen Ranking der Modemetropolen den zweiten Platz hinter New York.

Die Schau erzählt von den viel versprechenden Anfängen des Berliner Prêt-à-porters, als jüdische Konfektionäre in der seriellen Fertigung von Kleidung einen zukunftsträchtigen Erwerbszweig entdeckten. Die Ausstellungsstücke aus dem ehemaligen Berlin Museum, dem Märkischen Museum und dem Modeinstitut der DDR sind in 8 Räumen erstmals nach chronologischen Schwerpunkten zusammengefasst. Zunächst waren weitröckige, pferdehaargesteifte Krinolinenkleider der Renner bei den betuchten Ku’damm-Flaneurinnen. Mitte des 19. Jahrhunderts verschickten die Berliner Schiffsladungen von Turnürenkleidern ins europäische Ausland und nach Übersee. Kurze Zeit später war am Potsdamer Platz der Gesäß betonende Unterbau als „Cul de Paris“ der Dernier Cri. Beim Betrachten der zum Polster gebauschten Seidenstoffe kann man heute nur noch fantasieren, wie die Damen der Berliner High Society poposcharwenzelnd ins Adlon stöckelten. Doch noch bevor das 19. Jahrhundert zur Neige ging, war die opulente Mode in Preußen schon wieder passé.

Es folgte der Wilhelminismus und die Berliner Frau dem Ideal der küchenbeschürzten Matrone. Nach dem Debakel des Ersten Weltkriegs ertrotzten sich die „Dames de Berlin“ dann den Metropolencharme einer veritablen Weltstadt. In den Roaring Twenties feierte man an der Spree das Überleben und schüttelte sich beim Charleston die vergangenen Schrecken aus dem verschlankten Leib. Die dazu passenden Hüllen wurden revolutionär beinfrei, die Berlinerin ging ihre eigenen Wege. Ernst Reuter hätte zufrieden sein können, die Welt schaute auf Berlin als die glitzernde Hauptstadt des „Anything goes“. Dann kamen die Nazis – und auch das Ende der von jüdischen Fabrikanten geprägten Modestadt Berlin. Nach dem Krieg begann die mühsame, bis heute andauernde Suche nach einer neuen modischen Identität. BETTINA FICHTNER