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: KENO VERSECK über sexy undeterminierte Kausalketten

Scrabbeln gegen Gott

Jede mathematische Formel halbiert die Auflage. Zumindest bei Büchern. Dieses Naturgesetz, das Stephen Hawkings Verleger entdeckt hat, birgt in sich die ganze entsetzliche Tragödie des Wissenschaftsjournalismus: Undeterminierte Kausalketten – sind die etwa sexy? Nach breitärschigen Erklärungen kommt heraus, dass es so und so sein kann oder auch anders, dass es aber eines immer ist: kompliziert. Und die Frage lautet nicht, wer das lesen will. Sie heißt, viel schlimmer: Wer will das schreiben?

Tuvalu, zum Beispiel, der Atoll-Staat in der Südsee. Er versinkt im Meer. Nächstes Jahr wandern die Bewohner aus, meldete AFP letzte Woche, Neuseeland nimmt sie auf. Da haben wir’s: Die Klimakatastrophe. Die Meldung war zwar so grundfalsch, dass AFP sie schnellstens korrigierte, aber eben doch zu schön, um nicht noch steinerweichende Nachrufe hervorzubringen.

Erschienen diese Woche in der Berliner Zeitung zum Beispiel, und in der FAZ. Zitat: „Während das reale Tuvalu zum Tode verurteilt ist und seine Atolle vom Wasser verschlungen werden, wird das virtuelle Tuvalu weiterleben – in den Internet-Adressen zahlloser Fernsehstationen aus aller Welt, deren Endung „.tv“ dereinst wie eine Trauerschleife an die noch im Untergang aufrechte kleine Inselgruppe erinnern wird. Wir erleben das Ende eines Landes und die Geburt eines Mythos: Im unglücklichen Tuvalu hat die moderne Welt ihr Atlantis gefunden.“ Die Chancen, daß Tuvalu mindestens den Schöpfer dieses Requiems überlebt, sind ausgezeichnet. Seit vielen Jahren überprüfen Meßgeräte im Südpazifik, darunter auch um Tuvalu, den Stand des Meeresspiegels. Bisheriger Anstieg: Null. Kein Wunder also, wenn bereits letzte Woche die tuvalesische Regierung dementierte, dass man nächstes Jahr auswandern würden.

Wie im Falle der Klimaforschung lassen auch manche Popularisierer der Bio- und Gentechnologie die Apokalypsen munter sprießen. Craig Venter, der Mann, dessen Gen-Sequenziermaschinen das menschliche Genom „entschlüsseln“ – hat er die Scrabble-Meisterschaft gegen Gott schon gewonnen? – Nein: Noch jedenfalls können Venter und seine Maschinen die Sprache der Basenpaare nicht einmal radebrechen.

Wenn Physiker in einem Teilchenbeschleuniger Schwarze Löcher im Nanoformat erzeugen und untersuchen wollen, fragen gelangweilte Presseleute als erstes, ob so ein Schwarzes Loch eventuell die Erde verschlingen kann. Die Physiker erklären dann liebe- und verständnisvoll, warum eine solche Gefahr nicht besteht und auch gar nicht bestehen kann. Sie sind gütige Menschen. Die Frage lautet nicht, wann ihre Geduld jemals ein Ende haben wird. Nein, viel schlimmer: Warum, zum Teufel, sind sie bloß so abenteuerfeindlich und unerotisch?