Status Kriegsopfer

Pariser Gericht billigt 41-Jährigem Rente zu. Soldaten hatten seine Mutter im Algerienkrieg vergewaltigt

PARIS taz ■ Mohammed Garne darf sich fortan als „das erste gerichtlich anerkannte Opfer des Algerienkrieges“ bezeichnen. Denn über vier Jahrzehnte nach Kriegsende hat ein Pariser Gericht dem 41-Jährigen am Donnerstag eine Invalidenrente zugebilligt. Der Grund: die Schläge, mit denen französische Soldaten seine Mutter während ihrer Schwangerschaft traktierten, um eine Fehlgeburt zu provozieren. Diese Misshandlungen hätten dem Fötus Schäden zugefügt, die für dessen Leben schwerwiegende Auswirkungen hatten.

Paradoxerweise berücksichtigte das Gericht nicht, dass die 15-jährige Algerierin zuvor von denselben französischen Soldaten monatelang vergewaltigt worden war. Auch die sofortige Trennung des Neugeborenen von der Mutter und die Tatsache, dass der Sohn beinahe 30 Jahre brauchte, bis er seine Mutter fand, spielten bei dem Urteil keine Rolle. Dennoch bezeichnete Garne, dessen Leben zwischen Drogenexzessen, Psychiatrie und Selbstmordversuchen verlief, die Entscheidung als Erfolg: „für mich und die anderen Opfer, die mir vor Gericht folgen“.

Nach algerischen Schätzungen kamen im Algerienkrieg infolge von Massenvergewaltigungen mehrere tausend Kinder zur Welt. Die Zahl der Vergewaltigungen dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Nur wenige dieser Frauen haben die Gewalt öffentlich gemacht. Und selbst sie werden nicht als Opfer anerkannt. Denn die französische Justiz weist alle Klagen gegen ihre Soldaten mit dem Argument ab, dass es für Verbrechen im Algerienkrieg eine Amnestie gibt.

Der Prozess von Garne wurde erst möglich, nachdem sein Anwalt Jean-Yves Halimi einen Verfahrenstrick fand. Er versuchte nicht, auf eine Verurteilung der Täter hinzuwirken, sondern klagte vor einem Pensionsgericht. Dort lieferte ein psychiatrischer Experte der französischen Armee ein Gutachten über Garne, das dessen Invalidität mit 60 Prozent beziffert und auf die pränatale Gewalt gegen den Fötus zurückführt. Das Gericht folgte dem teilweise. Es bewilligte eine Invalidenrente in Höhe von 30 Prozent. Sie ist auf drei Jahre befristet. Bezahlt wird sie vom französischen Staat.

Der französische General Paul Aussaresses, der im Algerienkrieg für eine „Aufklärungseinheit“ der Kolonialarmee zuständig war, lobte in Paris das Urteil. Er bestritt aber, dass viele Algerierinnen von französischen Soldaten vergewaltigt worden seien. „Vergewaltigungen sind für die militärische Aufklärung nicht hilfreich.“ DOROTHEA HAHN