Mäzene gesucht

Keine Kohle für Kulturpolitik: Spendenaufrufe, Strategien der kleinen Schritte, die Hoffnung auf den Bund und moralische Förderung von kreativen Kräften jenseits der Institutionen markieren zur Zeit die Handlungsspielräume der Kultur in Berlin

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Ab November finden sich immer viele Überweisungsformulare für Spenden in der Post. Brot für die Welt, Kinderdörfer und jetzt auch die Staatsoper Berlin. „Kohle für Mimì!“ steht auf der Karte des Vereins der Freunde und Förderer, die für eine Neuproduktion von Puccinis „La Bohème“ das Bühnenbild spendieren wollen.

In „La Bohème“ stirbt Mimì an Kälte und Kohlenmangel. Einmal sah ich eine Inszenierung der Oper in Sizilien am Stadtrand von Syracus in einer Mehrzweckhalle. Ich erinnere mich an eine erstaunliche Zahl von Pelzmänteln, in denen die Sizilianerinnen in die im Februar kaum beheizte Halle gekommen waren. Wir dagegen froren mit Mimì. Der starke Eindruck hängt eben nicht immer vom Reichtum einer Inszenierung ab.

Wohltäter zu finden gehört zur Zeit zu den gefragtesten Eigenschaften im Kulturmanagement. Da hat die Staatsoper Unter den Linden bisher mehr Erfolg gehabt als ihre Konkurrentin im alten Westen. Erst erhielt sie als Kanzlergeschenk einen 3-Millionenzuschuss für die Staatskapelle, dann signalisierte Alberto Vilar aus den USA sein Interesse, bei der Sanierung des Hauses einzuspringen.

Von einer Opernreform redet inzwischen keiner mehr. Die Strategie von Adrienne Goehler, Kultursenatorin im viermonatigen Übergangssenat, setzte auf kleinere Schritte: Gemeinsame Nutzung von Werkstätten, gemeinsame Marketingkonzepte. Für die inhaltliche Generalüberholung der Musiktheaterlandschaft sind die neuen Intendanten, Musikdirektoren und Ballettmeister zuständig, die teils wie Udo Zimmermann in der Deutschen Oper dieses Jahr begonnen haben, teils für die Zukunft verpflichtet sind wie Peter Mussbach an der Staatsoper.

Zur Zeit, mitten in den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP, gibt es keine Zahlen zum Haushaltsplan 2002, aber sicher ist: Auch der Kulturetat kann angesichts wachsender Schuldenberge nicht ausgleichen, was den Zuwendungsempfängern fehlt. Noch ist nicht entschieden, ob Adrienne Goehler und ihre Staatssekretärin Alice Ströver, ihre Arbeit fortsetzen können oder parteipolitischem Proporz geopfert werden. Selbst der Zuschnitt des Ressorts steht zur Disposition.

Die Theater warten ab, wer den Senatorenposten besetzen wird. Nichts hat sich bewegt für die Schaubühne in den Zeiten des Übergangssenats. 2001 konnten sie ihre Lücke im Etat teilweise durch Lottogelder auffangen, die aber für nächstes Jahr nicht mehr zur Verfügung stehen. Es gibt ein finsteres Szenario für den Fall, weiterhin ohne die berüchtigte Bemühenszusage auskommen zu müssen: keine Gastspiele, keine Koproduktionen, weniger Premieren. Das wäre besonders für den Tanz eine Katastrophe, der seine internationalen Partner als Reibungsfläche braucht. Auch junges Theater braucht den schnellen Spielplanwechsel.

Auch für die Volksbühne sieht es nicht besser aus. Entscheidungen, die man schon von Christa Thoben wollte, stehen immer noch aus. Im Oktober hat man gerade wieder eine einprozentige Kürzung hingenommen; große Proteste löst das zur Zeit nicht aus, zu tief sind die Löcher, auf deren Rand man gerade noch balanciert. Aber Frank Castorf, der Intendant, hat eine Entscheidung getroffen und eine Sparte am Haus geschlossen: das Tanztheater von Johann Kresnik.

Nicht alles ist erstarrt in dieser Zeit des Abwartens. Goehler und Ströver, offiziell bis 29. November im Amt, bemühen sich um die Produktion guter Nachrichten. Noch nie spuckte das Faxgerät so viele Pressemitteilungen der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur aus: Arbeitsstipendien für Übersetzer vergeben, Basisförderung für Theater- und Tanzgruppen ausgeschrieben, Jazzstipendiaten stellen ihre Kompositionen vor. Das ist der Versuch, das Labor Berlin auch in der Wahrnehmung der Politiker nach vorn zu bringen und die kreativen Kräfte jenseits der Institutionen zumindest schon mal moralisch zu fördern. Denn noch weiß keiner, was in den Töpfen zur Verfügung stehen wird.

Für eine solche Weichenstellung sprach auch ein Gutachten zur Förderung der Privattheater. Es sieht eine Umverteilung zugunsten der Sophiensäle, der Tanzwerkstatt und der erst 1997 gegründeten Zeitgenössischen Oper vor. Die Durchsetzung erfordert vom kommenden Senat den Mut, das Hansa-Theater und das Schlosspark-Theater der Schließung zu überlassen.

Möglicherweise spricht für die Stärkung der freien Szene nicht nur ihr spielerisches Potenzial sondern auch der Blick des Haushälters. Die Sophiensäle produzieren billiger. Konflikte mit gestiegenen Tarifen, die den landeseigenen Bühnen die Luft abdrücken, sind meilenweit entfernt, wo man bisher von den Honoraren kaum leben kann. Das riecht schon fast nach Mimì im kalten Sizilien. Aber der Saal, in dem jetzt baupolizeilich nur 100 Zuschauer zugelassen sind, könnte für 200 Leute ausgebaut werden. Das sieht nach effektiven Investitionen aus.

Es geht aber auch noch eine Nummer größer. Die Zeitgenössische Oper denkt über ein eigenes Opernhaus nach. Das ist unerhörte Zukunftsmusik. Sie sieht ihr Kapital in einer Klientel, die nicht schon mit den Berliner Häusern alt geworden, sondern gerade in Berlin angekommen ist. Sie suchen den Weg zum Bund als Ansprechpartner.

Der Bund hat Berlin mit dem Hauptstadtkulturvertrag schon einige Subventionsempfänger abgenommen wie das Jüdische Museum und das Haus der Kulturen der Welt. Das größte Projekt aber bleibt die Sanierung der Museumsinsel, die nach einem bisherigen Vertrag von Bund und der Stadt anteilig finanziert wird. Ihr Präsident Klaus-Dieter Lehmann versucht jetzt, Unabhängigkeit von der Berliner Finanzmisere zu erreichen. Er schlägt vor, dass die Baukosten ganz vom Bund übernommen werden und Berlin sich bei den Betriebskosten engagiert.

Solche Wege, auf den Bund zu setzen, stehen der Berlinischen Galerie, dem Landesmuseum von Berlin, nicht offen. Das Museum, seit 1998 ohne eigene Räume, sollte auf dem Areal eines privaten Investors auf dem Kreuzberg neu entstehen. Jetzt ist der Investor pleite und Direktor Jörn Merkert hat nicht mal einen politischen Gegner, den er als Verantwortlichen in die Mangel nehmen kann. Trotzdem gibt er den Mut nicht auf und hofft, dass in dem anstehenden Insolvenzverfahren vielleicht die Kosten für einige Faktoren sinken könnten, wie beispielsweise Grundstückspreise.