normalzeit
: Helmut Höge über den wilden Osten

Die amerikanischen Südstaaten und die neuen Länder

Nach den Mittelaltermärkten breiten sich jetzt im Osten die Country- und Westernfestivals aus. Und die Fahne der Konföderierten flattert an immer mehr märkischen Vorwerken. In ihrem Film „Ausfahrt Ost“ porträtierten zwei BRD-Filmemacherinnen unlängst drei arbeitslose Ostler in der Trucker-Raststätte „Hungriger Wolf“ bei Magdeburg, die sich als rebellische Südstaatler begreifen. Ihre Identifikation hat System: Die Niederlage der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg 1861 bis 1865 – und die anschließende Wiedervereinigung zwischen Süd und Nord – nimmt die deutsche Wende 1989/90 vorweg.

Zwar hat man schon früher auf die Ähnlichkeit zwischen der Plantagensklaven-Ökonomie des Südens und der ostelbischen Junkerherrschaft hingewiesen, die sich bis in ihren Antikapitalismus – gegenüber dem industriellen Westen bzw. Norden – glichen, aber hier geht es um die Niederlage des sozialistischen DDR-Staates, der nach der Zerstörung seiner ökonomischen Grundlagen – wie im US-Süden zuvor – einem gigantischen „reconstruction“ und „reeducation“-Programm unterworfen wurde, wobei er jedoch trotzig „als gesellschaftliches und geistiges Gebilde“ fortbestand. Auch dass dann immer mehr Yankees den Charme der Beautiful Loser im Süden entdeckten – und ein ganz neues Beziehungsdrama-Genre (bis hin zu „Vom Winde verweht“) entstand – hat seine heutigen Parallelen, z. B. Botho Strauß in der Uckermark. Und so wenig wie damals der Süden die Sklaverei bereute, will sich heute ein Großteil der DDRler vom Sozialismus distanzieren.

Auch die Verlaufsformen ähneln sich: Zunächst dominierten die (ritterlichen) Jointventures, dann ging es nur noch um Abwicklung– und strengstes Wirtschaftsregiment. Dazwischen tönte z. B. der neue West-Geschäftsführer von Narva: „Wir putzen die Braut jetzt heraus, dann mögen die Investoren Schlange stehen!“ Umgekehrt begann auch der Ku-Klux-Klan einst als eine „Institution der Ritterlichkeit und der Menschlichkeit“. Derweil versank das Land immer mehr in Armut. Der Staat Mississippi gab ein Fünftel seines Nachkriegshaushaltes für Prothesen für Schwerbehinderte aus. Bald sprachen die ersten Meinungsführer des Südens jedoch von einem „New South“. Einer von diesen, Grady, behauptete sogar: „In den Wäldern zwischen Virginia und Texas tummeln sich die Kapitalisten aus Neuengland auf der Jagd nach Investitionsobjekten; man kann kaum einen Schuss abgeben, ohne einen von ihnen zu treffen.“Die Reisejournalisten aus dem Norden waren dagegen eher entsetzt über „die Ruinenlandschaft der Städte und Plantagen“.

Auch die Hoffnung auf frische, arbeitswillige Einwanderer zerschlug sich bald: Allein „New Jersey nahm doppelt so viele auf wie der gesamte Süden“, meint Wolfgang Schivelbusch in seiner „Kultur“-Geschichte der „Niederlage“. All das führte dazu, dass man die Vergangenheit nostalgisch verklärte. So wie ein Mitarbeiter des Deutschen Historischen Museums rückblickend meinte, gegenüber dem neuen Direktor Stölzl war „unser Chef doch der reinste Menschenfreund“, wurde bereits in „Onkel Toms Hütte“ der gute, willensschwache alte Plantagenbesitzer dem aus dem Norden zugewanderten sklavenschindenden Bösewicht entgegengesetzt. Aber, „was vor der Niederlage Macht, Substanz, Überzeugung, Religion war, wird für den Sieger (nun) Ornament, Spiel, Unterhaltung“ (Schivelbusch). Die „Eskapismusindustrie“ (á la MDR) blühte. „Der Süden wurde für diese alternden Piraten so etwas wie eine späte Leidenschaft, an die sie ihre Reichtümer verschwendeten“, so C. Vann Woodward. Kurzum: Es wurde immer übler und ökonomischer.

Bald erkannten immer mehr Intellektuelle im Norden (Westen), dass die Niederlage des Südens (Ostens) auch ihre eigene war. Viele starben weg oder verfielen dem Suff, sie fühlten sich laut Henry Adams „wie die (letzten) Indianer und Büffel“. Und so wie in Vietnam vor allem junge Südstaatler kämpften, verpflichten sich jetzt auch bei der Bundeswehr vor allem Ostler – zu Auslandseinsätzen – „freiwillig“.