Der Grundstein bröckelt

In der Kita Bülowstraße sprechen die meisten Kinder kaum Deutsch, wenn sie kommen. Die Erzieherinnen setzen auf Sprachförderung. Dafür brauchen sie Geld – und das soll gekürzt werden

von FRIEDERIKE GRÄFF

Cerims Vater ist gekommen, um seine Tochter abzuholen, aber das kümmert sie wenig. Cerim will noch einmal von Sadia, der Praktikantin, geschminkt werden „Komm, wir gehen“, sagt ihr Vater, erst auf Türkisch, dann auf Deutsch. Aber jetzt muss sich auch noch Berkay, Cerims Bruder, anmalen. Es ist früher Nachmittag, Abholzeit in der Kita Bülowstraße. Doch manche der Kinder können sich noch nicht trennen.

Deniz, ein kleines Persönchen mit Pferdeschwanz, möchte eine bunte Nase genau wie die anderen Kinder. Das erklärt ihre Mutter auf türkisch, Vorpraktikantin Dilek übersetzt es für die Erzieherin ins Deutsche. 90 Prozent der 195 Kita- und Hortkinder in der Schöneberger Bülowstraße sind nicht-deutscher Herkunft. Viele können kaum Deutsch, wenn sie in die Kita kommen. „Unser Schwerpunkt hier ist Sprachförderung“, sagt Kita-Leiterin Heidi Eissner, „darum haben wir gekämpft“. Aber derzeit sieht sie wenig Zukunft für diesen Kampf: „Bei weiteren Einschränkungen ist es hier aus mit der Qualität.“

„Weitere Einschränkungen“, das sind die von Innensensator Körting vorgelegten Sparpläne: Weniger Erzieherinnen im Hort, weniger Geld für die Ausstattung, Anrechnung der Praktikanten auf Teile der Erzieherstellen und Schließung der Küchen. Heidi Eissner glaubt nicht, dass dieses Konzept funktionieren wird. „Was sie jetzt bei den Jüngsten einsparen wollen, werden sie später einbüßen“, sagt die Kita-Leiterin. „Wir legen doch den Grundstein für die Ausbildung der Kinder – und das kann man später nicht aufholen“.

Damit die Kinder sowohl gutes Türkisch als auch gutes Deutsch lernen, gibt es in der Bülowstraße vier Kita-Gruppen mit jeweils einer deutsch- und einer türkischsprachigen Erzieherin. „Das hilft uns auch bei der Verständigung mit den türkischen Eltern“, sagt Heidi Eissner. Die hätten „große Ängste, dass ihr Kind später hinten an steht“ und deshalb ein deutliches Interesse an der Sprachförderung. Das gilt auch für den Vater von Cerim und Berkay. „Die Kinder lernen sehr gut hier“, sagt er und zeigt auf seinen Sohn. „Er konnte zu Beginn überhaupt kein Deutsch.“ Zuhause spreche seine Frau nur Türkisch mit den Kindern.

Heidi Eissner ist eine tatkräftige Frau mit wenig Hang zur Klage. Aber nun klagt sie doch. Die Erzieherinnen seien schon jetzt überfordert und arbeiteten an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Eissners Kita hat einen Anspruch auf 22,5 Stellen. Davon sind zwei unbesetzt, zwei weitere fallen durch Dauerkrankheit praktisch aus. Ein Problem sei auch das relativ hohe Durchschnittsalter der Erzieherinnen, das liegt am Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst. Die meisten sind etwa vierzig Jahre alt, und das ist viel in einem Beruf, den man hauptsächlich auf Kinderstühlen verbringt.

Die Arbeit mit den ausländischen Kindern sei zeitaufwändiger, meint Eva-Maria Horn, die stellvertretende Leiterin der Kita. „Die Eingewöhnungszeit der Kinder ist länger, man braucht mehr Zeit bei der Hausaufgabenbetreuung. Und Elterngespräche kann man nicht einfach mal zwischen Tür und Angel führen.“ Die ständige Zeitknappheit raube den Erzieherinnen die Kräfte – und mache die Arbeit unbefriedigend. Deshalb hält Heidi Eissner nichts von Körtings Vorschlag, Praktikanten auf Vollzeitstellen anzurechnen: „Eigentlich bräuchten wir sogar eine Personalverstärkung, um uns mehr um die Ausbildung der Praktikanten kümmern zu können.“

Inzwischen ist die Kita fast leer. Dilek klebt ein letztes Adventshäuschen zusammen, Sadia klappt das Schminkbuch zu. Kürzlich hat sie mit den Kindern das Badezimmer neu dekoriert. Jetzt hängen grüne Plastiknetze an der Decke und daneben baumeln Pappfische. „Wir sind schon jetzt sehr sparsam und erfinderisch mit unseren Mitteln“, sagt Heidi Eissner. „Aber allein die zweisprachigen Bücher sind unglaublich teuer.“ Künftig soll es nur noch 4,15 Euro pro Kind und Jahr für Beschäftigungsmaterial geben. „Irgendwann können wir nur noch aufpassen, dass sich die Kinder nicht die Köpfe einschlagen“, sagt Heidi Eissner. Aber das ist ihr zu wenig.