Sinn und Verstand

Stuttgart verliert beim 0:0 in Cottbus zwar zwei Punkte, gewinnt aber die Erkenntnis, auf gutem Weg zu sein

COTTBUS taz ■ Felix Magath hatte Mitleid mit seinem Kollegen. Eduard Geyer ächzte und krächzte, was das Zeug hielt. Heiser hatte sich der Cottbuser Trainer geschrien während des torlosen Unentschiedens und ob der katastrophalen Leistung seines Teams gegen den VfB Stuttgart. Geyer orderte Schwarztee zur Besänftigung seiner Stimmbänder. Und Felix Magath war richtiggehend besorgt: „Das hört sich ja gar nicht gut an.“ So hört sich nun mal Abstiegskampf an. Weshalb Magaths Mitleid kein gespieltes war, denn solche Töne sind ihm wohlbekannt und in wenig guter Erinnerung.

Diese wird sich in dieser Saison vermutlich kaum mehr auffrischen. Der VfB Stuttgart steht auf Rang sieben mit 22 Punkten. Mehr als irgendjemand erwarten konnte. Und doch oder gerade deswegen treten die Verantwortlichen unablässig auf die Euphoriebremse. Magath etwa: „Es ist noch zu früh, uns andere Ziele zu setzen.“ Rolf Rüssmann vor allem: „Wo kommen wir denn überhaupt her?“

Die Frage des VfB-Managers ist natürlich rhetorischer Natur. Der VfB Stuttgart kam vor der Saison von ganz unten: Geradewegs dem Abstieg entronnen, musste der Club eine Reihe namhafter Abgänge (Thiam, Pinto, Lisztes etc.) verkraften. Für Neuzugänge, also adäquaten Ersatz, fehlte schlicht das nötige Kleingeld – Expräsident Gerhard Mayer-Vorfelder hatte den Verein für Bewegungsspiele ja bekanntlich bei fast 40 Millionen Mark Schulden an den Rand des Lizenzentzugs „geführt“. „Für unsere Verhältnisse“, bilanzierte Magath nun, „sind wir gut dabei.“

So recht wusste dementsprechend niemand, wie das 0:0 beim Cottbuser Abstiegskandidaten zu bewerten war. „Zufrieden“ (Rüssmann), weil die alten Vorgaben noch nicht gänzlich abgehakt sind; „mehr als verdient unentschieden“ (Krassimir Balakov), weil niemand neue Ziele ausgeben mag. Gefühlsmäßig also irgendwie mittendrin.

Tatsächlich waren es natürlich verschenkte Punkte angesichts der Überlegenheit der Stuttgarter. Diese gründete auf einem ordentlichen und modernen Spielsystem, einer zumindest für die Cottbuser verwirrenden Interpretation eines 4-5-1-Systems mit einem echten (Ganea) Stürmer sowie zwei hängenden und variablen Außenstürmern (Hleb und Seitz). Einziger Kritikpunkt: Mangelnde Effizienz der Dominanz. Manager Rüssmann erkannte immerhin richtigerweise „Sinn und Verstand“ im Stuttgarter Spiel.

Abseits der numerischen Frage nach Toren und Punkten war eines auch in Cottbus zu erkennen: die zielgerichtete Umsetzung eines Konzepts. Und das ist beim VfB Stuttgart keine Selbstverständlichkeit. Denn entweder gab es Trainer, die erst gar keines hatten (Winfried Schäfer exemplarisch). Oder es gab Trainer, die zwar eines hatten (Ralf Rangnick exemplarisch), die dann allerdings keine Unterstützung fanden (Mayer-Vorfelder nicht exemplarisch).

Magath hat offensichtlich die gute Mischung gefunden – zwischen Jung und Alt, Jugendstil und Erfahrenheit, unbekümmertem Elan und abgeklärter Souveränität. Und jeder profitiert davon: Selbst der divenhafte und alternde Balakov (35) hat schier väterliche Verantwortung übernommen und bestellt seinem potenziellen Nachfolger Alexander Hleb (20) das Feld. Auch wenn dabei natürlich der Hintergedanke eine Rolle spielen mag, den auslaufenden Renten-Vertrag (sechs Millionen Mark Jahressalär) zu verlängern. Und Jünglinge wie Abwehrspieler Andreas Hinkel (19) avancieren erstaunlich souverän zu festen Größen, als könnten sie die ganze Diskussion um behutsamen Aufbau des Nachwuchses überhaupt nicht verstehen. „Die Jungs spielen gut, keine Frage“, stellt Manager Rüssmann fest, „sie wachsen von Ergebnis zu Ergebnis.“

Und offensichtlich lässt man sie auch wachsen. Kapitän Zvonimir Soldo hat just festgestellt, dass endlich „Ruhe in den Verein“ eingekehrt sei. „Die Situation“, sagt auch Rüssmann, „ist momentan sehr schön.“ Der Manager sagt aber auch: „Es gibt noch vieles, was wir besser machen können.“ Bloß nicht abheben also. Rüssmann weiß vermutlich noch zu genau, wie dem VfB Stuttgart Mitleid ausgesprochen wurde. THILO KNOTT