Rote Fahne weht in Nepal

Maoistische Rebellen in Nepal kündigen Waffenstillstand auf und rufen „Revolutionäre Volksregierung“ aus. Friedensverhandlungen waren zuvor geplatzt

DELHI taz ■ In Nepal ist der Frieden zusammengebrochen. Über 35 Sicherheitsbeamte wurden getötet, als maoistische Rebellen in der Nacht zum Samstag zwei Polizei- und eine Armeekaserne im Westen des Landes überfielen. Eine Reihe von Polizisten und einige Armeeoffiziere wurden als Geiseln genommen. Gleichzeitig wurden in einer Luftwaffenbasis bei Surkhet im äußersten Südwesten drei Hubschrauber zerstört; in Dang nahe der indischen Grenze stürmten die „Maobadis“ ein Gefängnis und befreiten deren Insassen; und bei Überfällen auf Banken wurden über 200 Millionen Rupien erbeutet. Eine Polizeiverstärkung aus Pokhara geriet auf dem Weg ins Kampfgebiet in einen Hinterhalt – ein Zeichen, dass die Angriffe von langer Hand vorbereitet waren.

Die Regierung in Kathmandu wurde von den Ereignissen völlig überrumpelt. Premierminister Sher Bahadur Deuba wurde am Samstag in den Königspalast zitiert, berief daraufhin eine dringliche Kabinettssitzung ein und rief alle Parteien zu einem gemeinsamen Treffen zusammen. Dies löste in der Hauptstadt Spekulationen aus, dass die Regierung den militärischen Notstand erklären könnte.

Besonders der ehemalige Premierminister Koirala hatte mit einer Resolution der Regierungspartei den Druck auf Deuba erhöht und von diesem verlangt, die Maoisten zu Terroristen zu erklären und Recht und Ordnung „unter allen Umständen“ aufrechtzuerhalten. Koirala hatte im Juni seinem Rivalen Deuba Platz machen müssen, worauf dieser mit den Rebellen einen Waffenstillstand und Friedensgespräche vereinbart hatte. Dies liess die Zahl von Überfällen, Entführungen und Erpressungen zurückgehen und weckte die Hoffnung auf eine Einigung. In drei Gesprächsrunden wurden allerdings keine substanziellen Fortschritte erreicht.

Die Rebellen verzichteten auf Großdemonstrationen, während die Regierung 41 von rund 200 politischen Häftlingen freizulassen bereit war. Doch in der Kernfrage – der Forderung nach Abschaffung der Monarchie – kam es zu keiner Annäherung. Auch die taktisch motivierte Bereitschaft der Maoisten, diese Forderung zurückzustellen und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung zu erreichen, wurde zurückgewiesen.

Einige Tage vor dem Beginn der vierten Runde kam dann am letzten Mittwoch die überraschende Erklärung des Maoistenführers Pushpa Kamal Dahal, wonach weitere Verhandlungen fruchtlos seien und der Waffenstillstand seine Rechtfertigung verloren habe. 48 Stunden später schlugen die „Maobadis“ zu.

Das ging so schnell, dass Beobachter zur Annahme verführt wurden, dass der viermonatige Waffenstillstand möglicherweise nur eine Finte gewesen war. Er sollte den Rebellen, so meinten Beobachter in Kathmandu, eine Reorganisation erlauben, um eine neue Phase ihres „Volkskriegs“ einzuleiten.

Diese Annahme wird gestützt durch die Nachricht, wonach die Maoisten am Samstag in Rolpa eine „Revolutionäre Volksregierung“ ausgerufen hätten. Baburam Bhattarai, politischer Kopf der Bewegung, wurde zum Präsidenten ernannt und Rolpa, das Zentrum einer größeren Region im Westen des Landes, zur Hauptstadt erklärt.

BERNARD IMHASLY