Polen laufen Amok vor der Steuerreform

Die meisten Regierungen senken die Steuern – Warschau erhöht sie. So soll das Haushaltsloch gestopft werden

WARSCHAU taz ■ Haushaltslöcher stopfen muss nicht unbedingt sparen heißen, auch wenn das die USA und die EU-Länder vorexerzieren. Auch neue Schulden, der Horror der EU-Finanzminister, können umgangen werden. Wie das geht, führt die im Oktober gewählte polnische Regierung vor: Sie will die Steuern ordentlich erhöhen.

Die Polen sind davon wenig begeistert – und der sozialdemokratische Finanzminister Marek Belka ist fassungslos. „Unendlichen Egoismus“ entdeckte er bei seinen Landsleuten. Statt ihm zu helfen, das gigantische Haushaltsloch zu stopfen, rennen sie zu Millionen in die Banken und legen ihr Geld langfristig an.

„Garantiert fiskussicher“, wie die Werbezettel der Banken versprechen. In den Schaufenstern fast aller Banken in Polen hängen große Schilder: „Retten Sie Ihr Geld vor der Steuer! Wir haben auch samstags und sonntags für Sie geöffnet.“ Vom Rednerpult des Senats aus grollte Belka, dass auf diesen “Amoklauf der Banken“ die Strafe auf dem Fuße folgen werde und er jede Lücke im Gesetz ausfindig machen werde, um doch noch an das Geld der Sparer zu kommen. Als dann auch noch Ministerpräsident Leszek Miller im Radio an den Patriotismus der Polen appellierte, ließen diese alles liegen und stehen, stürmten die Banken, hoben ihr Geld ab und stopften es unter die Matratze. Da wird es zwar nicht verzinst, aber das Finanzamt hat auch keinen Zugriff.

Über die Gefahr, dass Millionen von Polen ihr Geld ins Ausland transferieren könnten, denken die Politiker lieber nicht nach. Nur auf der Straße tauschen sich die Leute über die „sichersten Länder“ aus. Die Schweiz und Luxemburg werden immer genannt, außerdem Deutschland, wo es einen Steuerfreibetrag gibt.

Mit 20 Prozent will Belka künftig sämtliche Guthaben-Zinsen in Polen besteuern. Auch die Zinsen von Lebensversicherungen, Staatsobligationen und Investmentfonds sollen besteuert werden. Einen Freibetrag hat Belka nicht vorgesehen, da diese Steuer seiner Meinung nach ohnehin nur die Reichen treffe. Arme hätten kein Geld übrig zum Sparen. Insgesamt will der Finanzminister 4,3 Milliarden Zloty (1,08 Milliarden Euro) Zinssteuer einnehmen. Auch Lohn- und Einkommensteuer sollen steigen: Wer im Monat mehr als 3.085 Zloty verdient (771 Euro), soll künftig 20 statt 17 Prozent an den Staat abgeben. Bei einem für polnische Verhältnisse sehr gutem Einkommen von 6.170 Zloty (ca 1.542 Euro) sind künftig nicht mehr 30, sondern gleich 40 Prozent fällig. Außerdem soll der Anteil für die Krankenversicherungen gesondert erhoben werden – zusätzlich zu den Krankenkassenbeiträgen, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen.

Wer sich mit dem Plan trug, ein Haus zu erwerben oder seine Wohnung zu renovieren, ist ebenfalls verunsichert. Denn auch hier sollen die bisherigen Steuererleichterungen gestrichen werden. Zwar hat Marek Belka angekündigt, dass er schon bald ein besseres Gesetz zur Wohnungsbauförderung vorlegen werde, doch so richtig glauben will ihm niemand. Wer ein bisschen Geld auf der hohen Kante hatte, rettet es nun vor dem Fiskus, in dem er es – ein letztes Mal mit Steuererleichterung – in den Hausbau oder die Renovierung der Wohnung steckt. GABRIELE LESSER