Das klingende Missverständnis

Für immer jung, für immer Pop: Alphaville, ewig zerrissen zwischen dem Drang zur Kunst und ihrer alten öffentlichen Wahrnehmung als Teenie-Band, senden mit dem Remix-Album „Forever Pop“ ein neues Lebenszeichen in die Charts

Noch gehört der Hit „Forever Young“ zum Standardrepertoire des Radios

Sie sind älter geworden, schon ein bisschen grau um die Schläfen, Familienväter mittlerweile, aber immer noch Pop, für immer Pop. Das zumindest verspricht der Titel des neuesten Lebenszeichens von Alphaville: „Forever Pop“ heißt das Remix-Album mit aktualisierten Versionen ihrer bekanntesten Songs.

Hits haben Alphaville in ihrer mittlerweile nahezu zwei Dekaden umspannenden Geschichte reichlich produziert. Der Sinn aber stand ihnen stets nach anderem. „Vor 17 Jahren hätten wir uns sehr gefreut, ein Interview mit der taz zu machen“, erzählt Bernhard Lloyd, die eine Hälfte des schon vor Jahren zum Duo geschrumpften Berliner Electropop-Projekts, „aber damals wollte nur die Bravo Interviews.“

Vor allem Marian Gold, Sänger, Gesicht und kreativer Kopf von Alphaville, hat seit Jahren daran zu knabbern, dass seine Musik weitestgehend nur als Popmusik für Teenager wahrgenommen wird. Dabei haben Alphaville nicht nur einige der schönsten melancholischen Songs in der Geschichte der populären Musik abgeliefert, sondern durchaus auch Pionierarbeit geleistet, was die Etablierung von Elektronik als Sprache des Pop anging. Ihr Ansatz, dass auch Nichtmusiker mit den entsprechenden technischen Hilfsmitteln gute Musik machen können, war damals provokativ, hat sich aber heute allgemein durchgesetzt. „Sich unverstanden fühlen, reduziert werden, das ist es, was Marian hasst, was ihn frustriert“, beschreibt Lloyd das Dilemma seines Partner.

Im Drang zu Höherem plante der Künstler Gold schon mal die Verfilmung eines Albums, schließlich hatte er seine Band nach einem Film von Godard benannt. Stets versuchte er, seinem Image zu entkommen. Weniger systematisch als aus Unlust heraus enttäuschten sie immer wieder die Erwartungen der Medien und verweigerten sich den Ritualen der Teenie-Presse. Anstatt den Gesetzen des Marktes zu folgen und regelmäßig Singles zu veröffentlichen, brachte man vor knapp drei Jahren eine Box mit neuem Material heraus: Acht CDs stark und 200 Mark teurer. Die 2.500 Exemplare von „Dreamscapes“ waren nur im Internet zu erwerben, trotzdem schnell vergriffen und werden jetzt für das Vierfache ihres Kaufpreises über eBay gehandelt. Längst schon begeben sich Alphaville nicht mehr zu einer Plattenfirma, sondern veröffentlichen in Eigenregie übers Web.

So gesehen beruhte ihr Erfolg immer auf einem Missverständnis. Vor allem aber gründete er sich auf einen Zufall: Als Alphaville im Januar 1984 ihre erste Single „Big in Japan“ heraus brachten, gab es noch kein Privatfernsehen und eigentlich auch keine Plattformen für Musik im TV. Der Plattenfirma gelang es, Alphaville in einer Jugendreihe des ZDF zu plazieren und „Big in Japan“ ging exakt fünf Minuten vor 20 Uhr auf Sendung. In der ARD lief Werbung, die Republik wartete auf die „Tagesschau“ und Alphaville hatten einen heute gar nicht mehr vorstellbaren Marktanteil von nahezu 100 Prozent. „Vier Wochen später waren wir Nummer eins“, erzählt Lloyd, „klar, das wäre nicht passiert, wenn die Nummer Scheiße gewesen wäre. Aber was wäre passiert, wenn wir fünf Minuten nach acht auf Sendung gegangen wären?“

Noch heute gehören „Big in Japan“ und der darauf folgende Hit „Forever Young“ zum Standardrepertoire des formatierten Radios und sorgen mit den Tantiemen von kleineren Hits wie „Sounds Like a Melody“ oder „Jerusalem“ für das Auskommen von Lloyd und Gold, die ursprünglich einmal aus dem Westfälischen nach Berlin gekommen waren. Die beiden leben, so der mittlerweile in Neuenhagen bei Hoppegarten residierende Lloyd, „gut, aber bestimmt nicht wie Rockstars“.

Tatsächlich, glaubt Lloyd, wäre er ohne die Erfindung der elektronischen Klangerzeugung wohl nie Musiker geworden. „Die Computerprogramme spielen besser, als ich das je könnte“, sagt er und will nicht einmal Musiker genannt werden. „Handwerker? Das kommt der Sache schon näher.“ Als Kind hat der mittlerweile 41-Jährige mit Lego gespielt, heute verschiebt er auf dem Bildschirm die Kästchen.

Fürs Schöpferische ist dagegen eindeutig sein fünf Jahre älterer Partner zuständig. „Ich kenne keinen Menschen, der so viele Ideen hat“, sagt Lloyd über Gold, „Marian hat vielleicht hundert Ideen am Tag, von denen 95 Blödsinn sind. Aber wer hat schon fünf gute Ideen am Tag?“ Der Output von Gold ist so groß, dass er monatlich Demos seiner neuen Songs auf die Website alphaville.de zum kostenlosen Download bereit stellt. Lloyds Job ist es, den kreativen Ausstoß von Gold „zu sortieren und umzusetzen“. Die Kombination aus sprunghaftem Künstler und verlässlichem Pragmatiker funktionierte nicht immer so gut. Ende der Achtziger, während der sich über zwei Jahre hinziehenden Aufnahmen zum dritten Album „The Breathtaking Blue“ stritten sich die beiden so ausdauernd, dass sie im Wechsel jeweils für Monate die Studioarbeit boykottierten, um sich nicht sehen zu müssen. Längst aber macht Lloyd wieder erfolgreich aus den Songentwürfen von Gold Popsongs mit „Cinemascope-Anspruch“.

Umso schwieriger muss es für manchen Remixer gewesen sein, den alten Hits ein neues Leben zu geben. „Manchmal war der Respekt zu groß“, glaubt Lloyd, „einige mussten ermutigt werden, ein bisschen radikaler dranzugehen.“ Andererseits war ein wenig Achtung vor den Klassikern durchaus gewollt für „Forever Pop“. Intention hinter dem Remix-Album sei vor allem gewesen, die Songs zu modernisieren, „denn inzwischen sind sie zwei Generationen älter geworden. Aber wir wollten keine Remixer, die eine halbe Vocal-Line sampeln und irgendetwas darumbasteln, was mit dem Original nichts mehr zu tun hat.“ Versammelt sind nun vor allem Mainstream-DJs, am bekanntesten Paul van Dyk oder Eiffel 65. Die avancierteren Produzenten wie Todd Terry oder Johannes Heil folgen auf demnächst erscheinenden Vinyl-Editionen.

„Forever Pop“ ist sofort nach seinem Erscheinen in die Charts eingestiegen und klettert seitdem beständig. „Das ist schön“, sagt Lloyd, „dass sich die alten Sachen noch gut verkaufen, aber natürlich auch frustrierend, dass die neuen Songs nicht dasselbe öffentliche Interesse gefunden haben.“ Aber was soll man machen, wenn der Fan seine Alphaville-Platten womöglich direkt neben denen von Modern Talking stehen hat. „Deswegen wird meine Platte ja nicht schlechter“, sagt Lloyd. Gold aber, „der trägt das mit sich rum. Vielleicht braucht er das sogar.“

Vielleicht konnten nur so solch perfekte Popsongs entstehen. Songs, die sich vom üblichen Hitparadenfutter unterscheiden durch ihre verträumte Melancholie, die über dem Versprechen endloser Jugend schwebt. „Forever Young“, das waren Alphaville nie wirklich. „Forever Pop“, das waren sie immer. THOMAS WINKLER

Alphaville: „Forever Pop“ (WSM/ Warner)