Grundlos lächeln

Russische Wohnküchenkonversation: Der Film „Die Liebe ist stark wie der Tod“

Andrej Nekrassows Film „Die Liebe ist stark wie der Tod“ handelt von einem, der als Student die Sowjetunion verließ und nach 16 Jahren ins neue Russland heimkehrt. Und deshalb stellen ihm die Leute in seiner Heimatstadt Petersburg allerhand Fragen. Ein im kalten Wagen lesender Kriminalbeamter beispielsweise deutet auf sein Buch, ein Buch von Freud, und will von ihm wissen: „Irgendetwas haut an dieser Theorie nicht hin. Können Sie mir sagen, ob das vielleicht an der Übersetzung liegt?“

Aus dem Schwanken des Helden zwischen Vertrautheit und Fremdheit in dieser Umgebung bezieht der Film Witz und Spannung. Schon 1996 gedreht, wurde er vergangene Woche zum Sundance-Festival bei Salt Lake City eingeladen, der wichtigsten Independent-Film-Show der USA. An Aktualität hat der Film nicht verloren. Noch immer fühlt sich die russische Gesellschaft Westlern gegenüber zurückgeblieben, was leicht in Aggressivität umschlägt. Die passend bedrohliche Bildsprache ergibt sich schon, wenn die Kamera nur dokumentiert: Petersburger Winterdämmerung über einem Sammelsurium von Großstadtscheußlichkeiten.

Der heimgekehrte Journalist im Film kämpft meist mit einem Lächeln. Dabei ist seine Situation nicht gerade amüsant. Schon bei der Ankunft ist er im Taxi von zwei Mafiosi k. o. geschlagen und aller Habseligkeiten beraubt worden, darunter der teuren Pfeife, die er dem Vater mitbringen wollte. Der hatte als engstirniger Sowjetbonze einst seinen Sohn in die Emigration geekelt, mauserte sich aber später zu einem Politiker mit demokratischer Rhetorik. Wenig geheuer erscheint er, als er plötzlich die ihm zwar ohnehin zugedachte, aber dem Sohne ja doch geraubte Pfeife raucht. Über einige Verbrechen in der eigenen Familie aufgeklärt wird der Journalist von seinem besten Jugendfreund. Das Gespräch der beiden im Flackern der Petroleumlampe ist ein wunderbares Exempel für russische Wohnküchenkonversation, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig mit Worten hochschaukeln. Da die beiden in ihrer Jugend dem Laienspiel huldigten, bedienen sie sich großzügig bei Goethe, Puschkin und Shakespeare. Und noch einer wird zitiert: Meister Eckhart – der Titel des Films stammt aus einer seiner Predigten.

Am Ende liefert dieser scheinbare Politthriller für seine Rätsel überraschenderweise eine ganz private Auflösung. Nicht sie soll hier verraten werden, aber etwas, was der Held ganz nebenbei erfährt: dass er nämlich selbst auch schon Schaden unter seinen Nächsten angerichtet hat. In Meister Eckharts Predigt wird auf einen wenig beachteten Grund hingewiesen, weshalb wir den eigenen Tod fürchten sollten: er beraubt uns der Möglichkeit, Fehler wieder gutzumachen. BARBARA KERNECK

O.m.engl.U., heute noch, 20 Uhr im Checkpoint am Spittelmarkt, ab 29. 11., 18 Uhr, Nickelodeon, Torstr. 216, Mitte