chatter vor gericht
: Hat Gwyndon Butterfly vergewaltigt?

Cybersex endete auf Motorhaube

Der 33-jährige Dirk B. gehört zu den Menschen, die ihre sexuellen Kontakte mit Hilfe der neuen Kommunikationstechnologien organisieren. Nach Feierabend chattet der diplomierte Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik im Internet. Die Chatrooms, die er besucht, seien darauf ausgerichtet, sexuelle Verbindungen zwischen den Gesprächspartnern herzustellen, erklärt Dirk B. dem Richter. Seit gestern wird B. vor dem Landgericht der Prozess gemacht. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft wiegt schwer: Dirk B. soll eine Frau, die er im Internet kennengelernt hat, auf einer Fahrt von Neuenhagen nach Berlin auf der Kühlerhaube seines Autos vergewaltigt haben.

Dirk B. bestreitet, dass es so gewesen ist. Um seine Seriosität zu unterstreichen, ist er in einem gepflegten grauen Anzug zur Verhandlung erschienen. Sein Gesicht trägt glatte, jungenhafte Züge. Auf Fragen antwortet er schnell und in einem geschäftsmäßigen Tonfall. Bis zu seiner Verhaftung Ende Juli war Dirk B. im Vorstand einer Venture-Capital-Beteiligungsgesellschaft tätig, in einem jener Betriebe der New Economy, die ihre Mitarbeiter in Anteilen bezahlen. Als es der Firma finanziell schlechter ging, arbeitete Dirk B. dort ohne Lohn weiter. Er fährt einen BMW aus der 5er-Reihe, sein Vater hat den Wagen bezahlt.

Mit diesem Auto hat Dirk B. in der Nacht zum 14. Juli dieses Jahres auch die 21-jährige Zeugin Ricarda B. von ihrer Wohnung in Neuenhagen abgeholt. Die beiden hatten sich zuvor beim Chatten im Internet als „Butterfly“ und „Gwyndon“ kennen gelernt. Dem Treffen waren lange, sehr intime Telefongespräche vorangegangen, sagt Dirk B. Ricarda B. sollte die Nacht bei ihm verbringen, so sei es ausgemacht gewesen.

Um den Verlauf der Ereignisse vor Gericht genau wiederzugeben, hat sich Dirk B. vor der Verhandlung Notizen gemacht. Auf der Autofahrt gab sich Ricarda B „frivol“, meint er nun, „was mir sehr gefallen hat“. Bald habe man sich zu „spontanem Sex“ entschieden. Dirk B. lenkt den Wagen in Marzahn in einen Seitenstraße, stoppt vor einem freien Feld. Dort sei es „zum Verkehr auf der Motorhaube“ gekommen. „Absolut einvernehmlich“, wie Dirk B. immer wieder betont.

Auch was das Geschehen danach betrifft, ist er sich keiner Schuld bewusst. Man sei gemeinsam zu einer McDonalds-Filiale gefahren. Auf dem Weg habe Dirk B. allerdings gemerkt, dass er mit Ricarda B. bis auf das Sexuelle wenig Gemeinsamkeiten habe. Sie trinke und rauche regelmäßig, Angewohnheiten, die er nicht besonders schätzt, wie er sagt. Um die Frau nicht mit nach Hause nehmen zu müssen und „um die Situation möglichst unkompliziert zu lösen“, schickt er Ricarda B. mit einer Bestellung für ein Paket Chicken McNuggets in das Schnellrestaurant. Kaum hat sie sein Auto verlassen, fährt er davon.

Auf dem Nachhauseweg habe er sich per SMS bei Ricarda B. entschuldigt, beschließt Dirk B. im Gerichtssaal seine Sicht der Dinge. Sie habe ihm mit einer SMS geantwortet, ihn beschimpft und mit ihren Kontakten zum „dunklen Milieu“ gedroht.

Ricarda B. hat der Polizei eine andere Version erzählt: Sie habe in jener Nacht keinen Geschlechtsverkehr gewollt. Sie habe sich gewehrt und mit ihrem Ring den Autolack zerkratzt. Der Beschuldigte meint, Ricarda B. habe ihn aus Rache angezeigt. Weil sie mehr von ihm wollte als er von ihr.

Es ist schwer zu entscheiden, ob Dirk B. die Wahrheit sagt. Das vermeintliche Opfer Ricarda B. ist zu der gestrigen Verhandlung nicht erschienen. Telefonisch sei Frau B. nicht erreichbar, sagt der Richter. Es ist gut für Dirk B., wenn die Hauptbelastungszeugin fehlt. Weil im Zweifel für den Angeklagten entschieden wird. Dirk B. weiß das. Seine Schultern entspannen sich, er wirkt nicht besonders sympathisch.

Sein Anwalt meint, die Zeugin Ricarda B. trete inzwischen wieder in einem „Love-Chat“ im Internet auf, diesmal unter dem Tarnnamen „Klosterschülerin“. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. KIRSTEN KÜPPERS