DIE GRÜNEN KÖNNTEN BEIM ZUWANDERUNGSGESETZ AUFTRUMPFEN
: Nicht noch eine Vertrauensfrage

Die qualvolle Diskussion über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan hat die Grünen viel Kraft gekostet. Eigentlich bräuchten die Verlierer jetzt erst einmal Zeit, ihre Wunden zu lecken. Auch die Gewinner sehnen sich nach Ruhe. Fischer, Künast und Co. wollen endlich wieder unbehelligt weiterregieren. Vertrauens- und Kriegsfrage sind entschieden, die Koalition ist gerettet.

Doch Ruhe können sich die erschöpften Grünen nicht leisten, sie müssen mehr vorweisen als schlichte Regierungsfähigkeit. Und schon steht ein neuer fauler Kompromiss ins Haus. Keine 24 Stunden nach dem grünen Parteitag verkündete SPD-Fraktionschef Struck, bei der Zuwanderung sei „das letzte Wort noch nicht gesprochen“. Auch Innenminister Schily will sich jetzt noch einmal mit der Union treffen und über deren Wünsche bei der Zuwanderung reden.

Zuwanderung? War da nicht mal was? Kann sich noch jemand an den 5. September erinnern? Es war der Streit um das Zuwanderungsgesetz, der damals eine Koalitionsrunde im offenen Dissens auseinander gehen ließ. Und zwar aus guten grünen Gründen. Schily hatte einen unzumutbaren Entwurf vorgelegt. Erst nach langen Verhandlungen gab er nach – beim Familiennachzug und beim Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung. Ausgerechnet dies will der Innenminister jetzt wieder streichen, damit die Union im Bundesrat zustimmt. Dann ist das Zuwanderungsgesetz wieder das, was es am 5. September war: unakzeptabel.

Doch im Gegensatz zum Krieg ist die Zuwanderung nichts, was sofort entschieden werden muss. Hier können die Grünen Beharrlichkeit an den Tag legen, und der Kanzler wird sich hier eine Vertrauensfrage nicht leisten wollen – auch wenn er sich Einigkeit mit der Union wünscht, um CSU-Chef Stoiber dessen Lieblingsthema wegzunehmen. Die Grünen aber brauchen den Wahlkampf nicht zu fürchten, wenn sie etwas vorzuweisen haben: zum Beispiel den Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung. Wenigstens darauf müssen sie beharren – selbst wenn dann gar keine neue Zuwanderungsregelung mehr zu Stande kommt. LUKAS WALLRAFF