Israels Wirtschaft stürzt ab

Verunsichert durch die Gewalteskalation sparen die Israelis ihr Geld lieber. Und statt Rekordwachstum gibt es plötzlich Rekordarbeitslosenzahlen. Wirtschaftsminister will die Konjunktur mit staatlichen Mehrausgaben wieder ankurbeln

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Mit großen Versprechungen versuchte Ariel Scharon kurz vor seiner Wahl zum Premierminister, die Vertreter der Wirtschaft für sich zu gewinnen, indem er sie eigens zu einer Veranstaltung ins Tel Aviver Hilton-Hotel lud. Die Privatisierung wollte er vorantreiben, gemeinsame israelisch-palästinensische Projekte, wie Wasserentsalzungsanlagen, auf die Beine stellen und ein parlamentarisches Sonderkomitee für dringende Wirtschaftsfragen einrichten. Knapp ein Jahr später steigen die Arbeitslosenzahlen auf neue Rekorde, und der Regierungschef selbst spricht von einer wirtschaftlichen Notlage. Die Schlangen vor den Ausgabestellen einer kostenfreien warmen Mahlzeit werden täglich länger. Besonders schlimm geht es alleinstehenden alten Menschen.

9,3 Prozent der israelischen Bevölkerung sind heute ohne Anstellung. Das ist ein Anstieg von 0,6 Prozentpunkten im Vergleich zum letzten Quartal. Bis zum Jahresende könnte die Zahl auf fast 10 Prozent klettern. Eine vergleichbare Situation herrschte zuletzt Anfang der 90er-Jahre. Damals strömten Hunderttausende Immigranten ins Land.

Der 11. September hat „die Verbraucher, die Industrie und die Investoren verunsichert“, erklärt Jakow Frenkel, ehemals Chef der Israel-Bank. Derzeit herrsche eine „Bunkermentalität“ vor.

Doch nicht erst die Anschläge in Washington und New York haben sich auf den Markt ausgewirkt – in Israel herrscht schon seit gut einem Jahr Krisenstimmung. Wirtschaftsminister Silwan Schalom hatte bereits im Sommer die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 2,5 bis 3 Prozent auf 1 bis 1,5 Prozent korrigiert. Tatsächlich gab es im zweiten und im dritten Quartal ein Negativwachstum. In den vergangenen neun Monaten sank das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent. Dabei hatte das Wachstum im Vorjahr noch bei 6 Prozent gelegen. Berichten zufolge fand ein derart dramatischer Wachstumsrückgang zum letzten Mal vor 50 Jahren statt.

Minister Schalom drängt darauf, die Misere mit höheren Ausgaben aus dem ohnehin stark belasteten Staatshaushalt etwa für Beschäftigungsprogramme zu bekämpfen. Er fordert zusätzlich eine Zinssenkung der Notenbanken – ein Wunsch, dem Zentralbankpräsident David Klein nur zögerlich nachkommt. Er drängt auf eine „konservative Finanzpolitik“. Seit Ende 1998 hat die Notenbank den Leitzins stufenweise von 13,5 auf 5,8 Prozent gesenkt, der letzte Schritt fand erst diese Woche statt. Neben der internationalen Konjunkturflaute steht der Konflikt mit den Palästinensern. Tourismus- und Baubranche sind am schwersten von der Gewalteskalation getroffen. Seit Beginn der Intifada im September vor einem Jahr mussten 31 Hotels den Betrieb einstellen, weil die Gäste wegblieben. Die noch bestehenden Hotels sind nur zu gut einem Drittel ausgelastet. Nach Auskunft des Tourismusministeriums liegt der Gesamtschaden bei 2 Milliarden US-Dollar. 18.000 Hotelmitarbeiter büßten ihre Stellen an. Dazu kommen indirekt betroffene Betriebe, vor allem Restaurants. Umgekehrt fehlen Arbeitskräfte im Baugewerbe, wo in friedlichen Zeiten 40.000 Palästinenser, die jetzt die autonomen Gebiete nicht verlassen dürfen, ihren Lebensunterhalt verdienten.

Für die Palästinenser sind die wirtschaftlichen Folgen der Intifada noch ungleich schwerer zu ertragen. So hat sich die Armutsrate in den autonomen Gebieten im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. 42 Prozent der Menschen müssen inzwischen mit weniger als 2 Dollar pro Tag auskommen. Besonders schmerzlich wirken sich die Reisesperren aus. In friedlichen Zeiten arbeiteten über 125.000 Palästinenser in Israel.