Schlimmer geht’s nimmer

Nach dem Pokal-Aus gegen Stuttgart muss der Hamburger SV erkennen, dass der Trainerwechsel nicht viel gebracht hat – und die allgemeine Situation direkt in Liga zwei führen könnte

aus Hamburg OKE GÖTTLICH

Für die Kicker aus der Nachbarschaft sollte es ganz normaler Anschauungsunterricht sein, schließlich spielte da der nächste Gegner, da würde es bestimmt etwas zu lernen geben. Denkste! Für die Spieler des FC St. Pauli muss der Auftritt des Hamburger SV viel mehr kontraproduktiv für die Psyche gewesen sein. Denn nach dem uninspirierten Auftritt des HSV bei dessen 0:2-Niederlage gegen den VfB Stuttgart werden die Kiez-Kicker, bislang Aufbaugegner noch jeder im unteren Tabellendrittel siechenden Mannschaft, plötzlich in die Favoritenrolle für das DERBY DES GRAUENS (Bild) gequetscht. Und das bedeutet ungewohnten psychologischen Druck vor dem Lokalderby am Sonntag.

Was die St.-Pauli-Profis am Dienstagabend zu sehen bekamen, war nicht der große, gefürchtete HSV, sondern entsprach vielmehr den neuen Leiden des alten H. Vor den lediglich 19.000 Zuschauern spielten nur die von Felix Magath gut eingestellten Stuttgarter eine clevere Partie. Jochen Seitz, der seit Wochen eine starke Rolle im Stuttgarter Offensivgefüge spielt, erzielte Ende der ersten Halbzeit (41.) das verdiente Führungstor für die Gäste, Ganea kurz nach der Pause (56.) den Endstand. Anschließend lief laut HSV-Trainer Kurt Jara „einfach alles total falsch“ für die Hausherren. So falsch, dass selbst Werner Hackmann zum leidenden Fan mutierte. „Ich kann die Fans verstehen, mir geht es ähnlich“, sagte er. Die sportliche Führung beim HSV versteht freilich auch durchaus etwas von vollmundigen Versprechungen: War zu Beginn der Saison ein europäischer Wettbewerb noch das erklärte Ziel, versuchte man die Dinge nach dem Rauswurf von Trainer Frank Pagelsdorf zu relativieren. Nach der Installation von Kurt Jara trat man jedenfalls leiser, schon weil man dem Neuen Zeit lassen wollte. Umso mehr irritierte nun ein Blick auf die neueste Ausgabe der Stadionzeitung: „Ziel: Pokal-Finale“ war dort zu lesen. Das Thema hat sich nun auch erledigt.

Zumindest bei den HSV-Fans hat sich ohenhin längst Realismus breit gemacht. Als auf der Jahreshauptversammlung am vergangenen Montag Aufsichtsrat Udo Bandow seine Hoffnung vortrug, der HSV möge am Saisonende einen einstelligen Tabellenplatz belegen, löste er damit bei der Basis nur Gelächter aus. Die Transferpolitik wurde dann gescholten, weil mit Grammozis, Gravesen, Ernst, Butt und Niko Kovac zahlreiche Leistungsträger nicht gehalten werden konnten, dafür aber mit Erik Meijer und Jörg Albertz Spieler verpflichtet wurden, die zwar nicht die Qualität, aber den Altersdurchschnitt steigerten. „Die sportliche Entwicklung ist nicht wie erwartet. Dafür trage auch ich Verantwortung“, erklärte Sportchef Holger Hieronymus. Widerspruch gab es keinen.

Im Gegensatz zum VfB Stuttgart, der im vergangenen Jahr nur knapp dem Abstieg entgangen ist, keine finanziellen Mittel zur Verfügung hat und tollen Fußball spielt, investierte der HSV kurzfristig in Spieler, die nur unzureichend in das mannschaftliche Gefüge passten. Jetzt soll wieder eilig in die Schatulle gegriffen werden: Trainer Kurt Jara wünscht sich zu Weihnachten gleich drei neue Spieler – als Soforthilfemaßnahme. Und auch der selbstkritische Jörg Albertz hat erkannt: „Wenn wir so weitermachen, steigen wir ab.“

Jara wirkt ob der offensichtlichen Schwächen seiner Mannschaft ratlos. Es kommen keine Pässe an, niemand gewinnt einen Zweikampf, und überhaupt „wollen wir viel zu schön spielen“, merkt er an, was einem Appell für schlechten Fußball und Grasfressertum gleichkommt.

Es ist eine schwierige Situation für den HSV, die vor einem Jahr mit dem Ausscheiden im Uefa-Pokal begann – und so schnell nicht zu ändern sein dürfte. „Es macht keinen Spaß mehr“, muffelt etwa Jörg Albertz, der trotz Pfiffen von den Rängen und erneut schwacher Leistung „seinen Vertrag erfüllen möchte“ und den Fans schon mal androht, „dass sie mich weiter ertragen müssen“. So bleibt HSV-Anhängern wie Trainer derzeit nur ein Trost, den Kurt Jara höchstselbst formuliert: „Schlechter kann es nicht mehr werden.“