Kreml schaltet ab

Auch im Fall TV 6 benutzt die Regierung in Moskau ein staatsnahes Energieunternehmen, um einen unliebsamen Sender ruhig zu stellen

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Ein halbes Jahr nach der Liquidierung des unbotmäßigen privaten TV-Senders NTV durch den Kreml droht nun auch der letzten größeren unabhängigen Sendeanstalt Russland das Aus. Am Montag entschied ein Moskauer Schiedsgericht, den Sender TV 6, der nach dem Ende von NTV dessen kremlkritische Rolle übernommen hatte, innerhalb eines halben Jahres abzuwickeln.

TV 6-Mehrheitsaktionär Boris Beresowski hatte unmittelbar nach der Liquidierung des Flaggschiffes des russischen Fernsehens den entlassenen NTV-Generaldirektor Jewgeni Kiseljow zum neuen Chef seines Senders ernannt. Der politische Kommentator und Starmoderator Kiseljow nahm einen Großteil der ehemaligen NTV-Mannschaft mit zum neuen Kanal. TV 6, als Informationsprogramm zuvor kaum beachtet, erreichte nach wenigen Monaten eine der landesweit höchsten Einschaltquoten – was erklärt, warum der Kreml keine Ruhe gibt.

Formal stützt sich die Urteilsbegründung gegen TV 6 auf die schlechte Finanzlage des verschuldeten Senders. Den Antrag auf Liquidierung hatte die an TV 6 beteiligte Firma Lukoil, Russlands größter Ölkonzern, gestellt. Sie kooperiert aufs Engste mit dem Kreml und ist bei ihren Geschäften vom russischen Machtzentrum abhängig ist. Auch im Falle NTV hatte der Kreml den halbstaaatlichen Konzern Gasprom vorgeschickt, um dem ungeliebten Sender im Frühjahr den Garaus zu machen. NTV-Hauptgesellschafter Wladimir Gussinski floh damals zunächst nach Spanien und lebt heute in Israel.

Leben im Exil

Boris Beresowski, Finanzmagnat und mit 75 Prozent Mehrheitseigner bei TW 6, lebt ebenfalls seit mehreren Monaten im französischen Exil. Der ehemalige Kreml-Insider wurde von Wladimir Putin kurz nach dessen Wahl zum russischen Präsidenten kaltgestellt und versucht seitdem, aus der Ferne eine Oppositionspartei gegen den Kremlchef aufzubauen.

Stutzig macht im Fall TV 6, dass die offizielle Begründung zwar auf die Finanzen des Sender abhebt, die Firma Lukoil aber keinerlei materielle Forderungen geltend macht. Die Ernennung Kiseljows, bei der Lukoil nicht konsultiert worden war, sei das entscheidende Motiv der Klage meinen denn auch die TV 6-Anwälte. Denn auch in der Bilanz des Senders sieht es nicht allzu düster aus: Den Schulden von 32 Millionen Dollar steht ein Sachvermögen von 36 Millionen Dollar gegenüber.

TV 6 wird Berufung gegen das Urteil einlegen, ein halbes Jahr bleibt dem Sender dafür nach russischem Recht Zeit. Ob sie solange wirklich weitersenden kann, hängt allerdings vom Presseministerium ab, das jederzeit die Sendelizenz entziehen kann. Der zuständige Minister Michail Lesin bedauert zwar offiziell die Entscheidung: Russlands Medienbranche habe schon mehr durchgemacht, als eigentlich zu verkraften sei. Lesin ließ aber keinen Zweifel daran, dass er strikt nach dem Buchstaben des Gesetzes handeln werde. Wie das ausgeht, bedarf keiner blühenden Fantasie: Bei der Liquidierung von NTV hatte sich Lesin als einer der aktivsten Sterbehelfer hervorgetan.

Dass sich der Kreml mit dem Rollentausch zwischen NTV und TV 6 nicht abfinden würde, galt schon seit langem als ausgemacht. Nachdem Wladimir Putin der Anti-Terror-Allianz beigetreten ist, dürfte auch die Kritik aus dem Westen am erneuten Abwürgen unliebsamer Medienstimmen moderat ausfallen. Dabei hatten Putin und US-Präsident George W. Bush beim letzten Gipfel so fest vereinbart, die Kooperation im Bereich Pressefreiheit zu intensivieren ...