Der Buchhalter als Pokerspieler

Finanzminister Eichel wendet im Haushalt für 2002 alle Tricks der kreativen Buchführung an. Das ist riskant: Wird im Wahljahr ein Nachtragsetat fällig, verliert Rot-Grün den Nimbus finanzpolitischer Solidität

BERLIN taz ■ So knapp hat Hans Eichel noch nie kalkuliert. Der Etat 2002 sei „auf Kante genäht“, sagt der Bundesfinanzminister selbst. Eichel musste bei der Haushaltsaufstellung alle Rechentricks anwenden, um Einnahmen und Ausgaben für 2002 auf einer Höhe von 247 Milliarden Euro auszubalancieren. Um jeden Preis wollte Eichel seinen Ruf als erster Finanzminister retten, der kein Schuldenmacher ist. Bis zum Jahr 2006 will er einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Diesen Kurs hat er zwar – vorläufig – gehalten, die Neuverschuldung sinkt auch 2002 wieder. Aber dafür musste Eichel Tilgungen verzögern, verdeckte Kredite aufnehmen und reichlich Privatisierungserlöse einplanen – all das, was die SPD der Regierung Kohl so gerne als „kreative Buchführung“ vorhielt.

Nun ist Eichels Trickkiste allerdings leer. Bleiben Einnahmen und Ausgaben nicht im Plan, droht ein Nachtragshaushalt. Gerade im Wahljahr 2002 wäre das für Schröders Koalition eine mittlere Katastrophe. Der Finanzminister verlöre seinen Ruf als guter Treuhänder der Steuergelder – und Rot-Grün den Nimbus, die Deutschland AG zu sanieren. Am Haushalt 2002 hängt Wohl und Wehe der Mitte-links-Koalition.

Allein die Unwägbarkeiten in Afghanistan können den Etat binnen weniger Wochen Makulatur werden lassen. Eichel feilschte mit Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) um jeden Pfennig. Der Wehretat wurde kriegsbedingt um knapp 800 Millionen Euro erhöht. Aber wie lange wird die Intervention dauern? Und wie viel wird es kosten, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umzurüsten?

Die größten Haushaltsrisiken sind Konjunktur und Arbeitslosigkeit. Wenn sich der Abwärtstrend der Wirtschaft verfestigt oder gar vertieft, fallen Eichels Versprechen auf den Minister selbst zurück. Mit 1,25 Prozent Wachstum rechnet Eichel, die Wirtschaftsinstitute gehen nur von 0,7 Prozent aus. Durch Steuerausfälle und höhere Sozialausgaben kann daraus eine milliardenschwere Differenz im Bundesetat entstehen. Sie wäre nur durch neue Kredite auszugleichen.

Mit seinen Prognosen für den Arbeitsmarkt pokert der Buchhalter Eichel hoch. Im Februar kommenden Jahres, so meint er, werde es 4,3 Millionen Arbeitslose geben. Diese Marge zu nennen, ist ein taktisches Manöver – aber ein gewagtes: Die zusätzlichen 3 Milliarden Euro, die im Haushalt für die Arbeitsämter vorgesehen sind, reichen selbst bei einer geringeren Arbeitslosenzahl nicht aus.

Eichel, der Pokerspieler, hat zwei Trümpfe in der Hand – einen kleinen und einen großen. Der kleine, das sind die Einnahmen aus der erhöhten Tabak- und Versicherungssteuer, die möglicherweise um ein paar Milliarden höher ausfallen als veranschlagt. Der große Trumpf ist die Konjunktur. Springt sie zum zweiten Quartal 2002 doch wieder an, wäre der Haushalt gerettet – und Eichel der Held der Koalition.

Sonst wird es Eichel ergehen wie in seiner Zeit als hessischer Ministerpräsident. Schon damals sparte er nach Kräften – und wurde abgewählt, weil an den Schulen die Lehrer fehlten.

CHRISTIAN FÜLLER