Schreibender Diplomat

Eine Lesung des französisch-libanesischen Schriftstellers Amin Maalouf

Am 11. September begann der Weltuntergang. „Mitten in der Nacht hat London zu brennen begonnen. (...) Aus meinem Fenster kann ich die rote Apokalypse sehen, aus den Straßen dringen die Schreie entsetzter Menschen nach oben.“ Der historische Roman „Die Reisen des Herrn Baldassare“ von Amin Maalouf beschreibt den September 1666, das „Jahr des Tieres“, für das der Welten Ende prophezeit wurde. Ein Händler aus dem Libanon sucht nach einem geheimen Buch, das himmlische Rettung verspricht. Er reist durch viele Städte Europas und begegnet dort den vermeintlichen Vorboten der Apokalypse, bis der große Brand von London all die Zeichen zu bestätigen scheint.

Amin Maalouf steht eigentlich nicht in dem Ruf, eine moderne Kassandra zu sein. Dennoch liest sich sein letzter Roman nun als Parabel auf die jüngsten Ereignisse. Was gerade der Hauptfigur Baldassare besondere Bedeutung verleiht: Den falschen Propheten und religiösen Eiferern begegnet er als besonnener Beobachter und aufgeklärter Geist. Maalouf war viele Jahre Journalist und arbeitete als Kriegsberichterstatter. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges in seiner Heimat emigrierte der aus einer christlichen Familie stammende Libanese nach Frankreich. Mit seinem Buch „Der heilige Krieg der Barbaren“, einer Dokumentation der Kreuzzüge aus arabischer Sicht, wurde er auch in Deutschland bekannt. Später verfasste er eine Reihe preisgekrönter historischer Romane. Dennoch schwankt die Kritik bis heute im Urteil. Handelt es sich um hervorragend recherchierte Historienschmöker oder um große Literatur? Betrachtet man den jüngsten Band über die Apokalypse genauer, kann man die Gründe für diese Unsicherheit leicht ausmachen. Für einen Schmöker sind die Ambitionen zu gewichtig. Die kulturellen und religiösen Debatten des 17. Jahrhunderts, die Leidenschaft, mit der sich der Protagonist für Vernunft und Dialog einsetzt, verweisen auf die Gegenwart und sollen „Mythen der Versöhnung“ schaffen, wie Maalouf es selbst einmal formulierte. Andererseits scheint die ferne Vergangenheit dem Leser allzu vertraut, die Figuren allzu modern. So wundert es nicht, dass er unlängst einen politischen Essay verfasste, der ihm prompt den Charles-Veillon-Preis eintrug.

„Mörderische Identitäten“ verhandelt in der klaren Sprache, die auch seine Romane auszeichnet, das Thema der Globalisierung und die damit einhergehende Angst vor kultureller Vereinnahmung. Maalouf beleuchtet die Ursachen dafür, dass große Teile der arabischen Welt sich der Moderne zu verschließen suchen und damit unweigerlich in politische und wirtschaftliche Handlungsunfähigkeit geraten. Mit seiner vermittelnden Argumentation zwischen scheinbar unversöhnlichen Standpunkten ist Maaloufs Essay ein Stück literarischer Diplomatie.

ILKA SCHAARSCHMIDT

Lesung am 30. 11. um 20 Uhr im Literarischen Colloquium, Am Sandwerder 5, Wannsee