Draußen wartet harte Realität

Die Berliner Stadtmission will Häftlinge vor dem Entlassungsschock bewahren. Ein neues Projekt zur Wiedereingliederung hilft Knackis bei der Suche nach Job und Wohnung

Die Gegend ist geschichtsträchtig. Gegenüber stand bis 1958 das Moabiter Zellengefängnis, ein „Zuchthaus für männliche protestantische Gefangene“ aus dem 19. Jahrhundert. Die Anlage galt als besonders modern: In den Einzelzellen waren die Gefangenen streng isoliert.

Genau hier, in der Lehrter Straße, will die Berliner Stadtmission künftig Häftlingen den Weg in die Freiheit erleichtern. „Drinnen und Draußen“ heißt das Projekt, das in dieser Woche offiziell gestartet wurde und bereits 23 Häftlinge betreut. Im Unterschied zur gängigen Bewährungshilfepraxis setzt „Drinnen und Draußen“ noch während der Haftzeit an. Die Interessenten können sich schon zwei Jahre vor ihrer Haftentlassung bewerben. Das Projekt hilft dann etwa bei der Suche nach Arbeit und Wohnung.

Klaus Blümel hat dies schon hinter sich: Vor drei Wochen ist er entlassen worden, 15 Monate hat er gesessen. Blümel ist kein „Knasti“, wie man ihn sich vielleicht vorstellt: Der Hüne im hellen Wollpullover spricht leise und gewählt. Der Speditonskaufmann hatte einst eine eigene Firma. Nachdem es mit der bergab gegangen war, wurde er wegen Konkursverschleppung und anderer Delikte angeklagt. „Ich bin in den Alkoholstrudel geraten“, erzählt Blümel. Er ignorierte seine Post und damit auch sein Bewährungsurteil. Weil er nicht bei der Bewährungshilfe erschien, musste er schließlich ins Gefängnis.

Dort ermutigte ihn der Suchtberater und heutige Leiter von „Drinnen und Draußen“, Siegfried Steffen, bei dem Projekt mitzumachen. Der Häftling ging darauf ein: „Einen Job hätte ich eh nicht bekommen, und bevor ich vormittags wieder in der Kneipe lande . . .“

Jetzt ist Blümel selbst Mitarbeiter bei „Drinnen und Draußen“. Dank seiner unternehmerischen Erfahrung soll er Kontakte mit Arbeitgebern herstellen sowie Schulungsmaßnahmen organisieren.

Doch Siegfried Steffen warnt vor zu viel Euphorie. „Es ist oft schwierig für ehemalige Häftlinge eine Arbeit zu finden, die sie auch ernährt.“ Damit sich die Chancen für sie verbessern, möchte Steffen in einem Netzwerk eng mit den Arbeitsämtern, Arbeitgebern, den Justizvollzugsanstalten und anderen Einrichtungen zusammenarbeiten.

Die Hürden zur Aufnahme in das Programm sind hoch. Die Häftlinge müssen in einer Bewerbung ihre Zukunftswünsche beschreiben. Zudem dürfen sie nicht drogenabhängig sein und es sollten keine offenen Verfahren ausstehen. Steffen legt zudem Wert auf „annehmbare Umgangsformen“: „Der Bewerber sollte nicht gleich anfangen, Tische zu rücken, wenn man ihm etwas verwehrt.“

Wer dann Erfolg hat, bekommt einen „Coaching-Vertrag“, in dem die beiderseitigen Ziele der Betreuung individuell festgelegt werden. „Für uns ist Erfolg das Ziel“, sagt Steffen, „schließlich haben die meisten das in dem Sinne nie erfahren.“ Dafür sei auch wichtig, dass die Häftlinge „nichts geschenkt bekommen“.

Andere Einrichtungen legen die Hürden niedriger. „Wir sind grundsätzlich für alle offen, egal ob die Häftlinge jetzt von oben bis unten tätowiert oder zwanzig Mal im Knast gewesen sind“, sagt Wera Barth von der „Freien Hilfe e. V.“. Die betreut seit über zehn Jahren rund 2.000 Häftlinge jährlich. „Drinnen und Draußen“ begrüßt sie dennoch vorbehaltlos. „Es besteht viel mehr Bedarf, als wir abdecken können“.

Für Klaus Blümel ist es eigentlich gut gelaufen. Er wurde recht überraschend zwei Monate vor Haftablauf vorzeitig entlassen. Manchmal fragt er sich, ob er nicht noch drei, vier Tage länger im Knast hätte bleiben sollen: „Ich hätte die Zeit gebraucht, um mich besser auf das vorzubereiten, was draußen passiert“, sagt er nachdenklich. MICHAEL DRAEKE