Wasserratte ohne Allüren

Mit bescheidenen Zielen geht Franziska van Almsick an diesem Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften an den Start: Sie schwimmt nicht um Rekorde und Titel, sondern nur für sich selbst

aus Rostock SEBASTIAN MOLL

Der Roman „Schwimmerin“ des Briten Bill Broady ist die Geschichte eines überaus talentierten Mädchens, das nie etwas anderes tun wollte, als das, was sie am besten kann: schwimmen. Mit 19 erreicht sie den Höhepunkt ihrer Karriere, der gleichzeitig deren Ende ist. Fortan gerät sie in die Klauen der Manager und der Werbestrategen, wird zum Spielball von Mächten, die größer sind als sie. Als ihre Vermarktbarkeit die Profitgrenze unterschreitet, wird sie fallen gelassen und endet im psychosozialen Nichts.

Ein wenig erinnert diese Geschichte an Franziska van Almsick. Den Höhepunkt ihrer Laufbahn erreichte sie mit 16, ihren letzten internationalen Titel gewann sie mit 17, die Europameisterschaft 1995. Seither wird sie zwar blendend vermarktet, schwimmt jedoch alten Zeiten hinterher. Zuletzt wurde sie bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney, nach dem Ausscheiden im 200-m-Freistil-Halbfinale, der Disziplin, in der sie noch immer den Weltrekord hält, von den Medien, die sie bislang so geliebt hatten, abgekanzelt: Die Diva war sie plötzlich, die Zicke und außerdem, was man ihr besonders übel nahm, viel zu fett. Arme Franzi.

Doch zum Zusammenbruch, wie er Broadys Romanfigur ereilt, möchte van Almsick es nicht kommen lassen. Stattdessen besinnt sie sich auf das, was sie für sich als das Wesentliche erachtet: den Sport. Am kommenden Wochenende geht sie bei den Deutschen Meisterschaften in Rostock erstmals wieder an den Start, ohne hochgesteckte Ziele, ohne Allüren. „Schwimmen ist meine Leidenschaft, ich liebe diesen Sport. Da fühle ich Geborgenheit, das ist wie mein Zuhause“, sagte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auf ihrer Homepage verkündet sie ihren Fans: „Ich versuche, ein normales Leben zu führen, gehe früh und abends zum Training, kaufe ein, habe Termine und suche nach Zeit ... für meinen Freund, meine Familie, meine Freunde. ... Ich kann und will nicht mehr dem entsprechen, was ihr da draußen in mir seht oder sehen wollt.“

Das scheint das Motto für das erneute Comeback der 23-jährigen Schwimmerin nach zahlreichen Rückschlägen zu sein. Nicht mehr um überschäumenden öffentlichen Erwartungen nach Gold und Rekorden zu entsprechen, steigt sie wieder ins Wasser, sondern nur für sich selbst. Um noch „einmal alles aus mir rauszuholen, noch einmal ans Limit zu kommen“. Wann das sein wird, werde sie erst wissen, wenn es passiert, und an einer bestimmten Marke, wie dem Weltrekord, möchte sie das auch nicht festmachen.

Zur neuen Bescheidenheit passen die Lebens- und Trainingsumstände. Anstatt wie in den vergangenen Jahren alleine mit einem Trainer zu arbeiten, hat sie sich einer Gruppe mit acht Männern bei den „Wasserratten Neukölln“ angeschlossen. Geleitet wird die Gruppe von ihrem Jugendtrainer Norbert Warnatzsch. Die Einzelbetreuung der vergangenen Jahre hält Warnatzsch für einen der Hauptgründe dafür, dass van Almsick seit sechs Jahren hinter ihren Bestmarken herschwimmt: „Man braucht ein Team, das sich über Erfolge mitfreut und das einen mitzieht, wenn’s mal nicht so läuft.“ Das Team alleine kann es natürlich auch nicht richten: „Sie muss sicherlich in allen Bereichen, Kraft, Kondition, Technik wieder an ihre Grenzen kommen und das ist ein weiter Weg.“

Wie weit, das glaubt Dieter Lindemann zu wissen, der Trainer, der sie seinerzeit zu ihrem Weltrekord geführt hat. „Wenn man sechs Jahre lang nicht mehr an seine besten Zeiten herangeschwommen ist, ist es irre schwer, da wieder hinzukommen.“ Immerhin attestiert er van Almsick nach wie vor großes Talent: „Das ist immer noch eine Augenweide, sie schwimmen zu sehen.“ An der Weltspitze seien jedoch alle talentiert, da entscheide die Qualität der Arbeit, sagt Lindemann viel sagend.

Van Almsick scheint selbst zu wissen, wie schwer es wird, wieder ganz nach vorne zu kommen. Bei der EM in Berlin im Sommer 2002 möchte sie bloß dabei sein. Bei den Deutschen Meisterschaften am kommenden Wochenende möchte sie „eine Zeit schwimmen, die zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“. Von einem Titelgewinn ist keine Rede: „Wir haben bei minus eins angefangen und eine lange Pause gehabt“, so Warnatzsch. Ein erstes Erfolgserlebnis hatte Franziska van Almsick allerdings trotzdem schon: Vor 14 Tagen wurde sie Meisterin von Berlin und Brandenburg. Und hat sich darüber gefreut. Noch im vergangenen Jahr hatte sie über den zwölften Platz bei den Olympischen Spielen Tränen vergossen. So ändern sich die Zeiten.