Zeit zur Koffersuche

Der 1. FC Köln gewinnt im DFB-Pokal 2:1 bei Alemannia Aachen, das sich jetzt seinen Skandalen widmen kann

AACHEN taz ■ FC-Trainer Ewald Lienen war bester Laune. Der zweite Sieg in Folge ist für Kölner Verhältnisse schon eine kleine Serie, und das auch noch an diesem besonderen Datum: „Eine Geburtstagsparty mit so vielen Gästen habe ich selten erlebt“, strahlte Lienen nach dem Match. 22.500 Menschen waren zu seinem 48. Wiegenfest mit Pokalspiel im Rahmenprogramm gekommen. „Manche haben sogar Happy Birthday gesungen.“

Auch personell war es Lienens Spiel. Der umstrittene Marco Reich, an dem der Trainer die ganze Palette seiner pädagogischen Fähigkeiten ausprobieren muss, machte sein bestes Match im FC-Dress und traf auch noch. Dazu die beiden langhaarigen Neuen im Defensivverbund: der Schweizer Marc Zellweger und vor allem der bärenstarke Kameruner Rigobert Song, dessen Lebensaufgabe das hingebungs- und kunstvolle Abgrätschen scheint. Beide Lienens Findlinge: „Den Rigo“, erzählte der Jubilar, habe er bei einem Freundschaftsspiel vor drei Wochen gesehen, ihm noch auf dem Spielfeld gesagt, „du bist gar nicht schlecht, komm doch zu uns“. Ein paar Tage später war er von West Hams Ersatzbank an den Rhein gewechselt.

Das nachbarschaftliche Pokalspiel war eine sehr einseitige Sache: ein Spiel auf ein Tor, das des Kölner Fanblocks. In Halbzeit eins spielte dort nur der FC, führte den desolaten Zweitligisten zeitweilig vor und hätte nach vielen besten Chancen viel höher als 2:0 durch Kurth (5.) und Reich (29.) führen müssen. Nach dem Anschlusstreffer durch Zernicke (59.) berannte die erwachte Alemannia selbige Spielfeldseite derart vehement, dass sich der wankende Erstligist mühsam ins Ziel retten musste. „Schwer zittern“ habe er da müssen, sagte Lienen. „Aber da merkt man wenigstens, dass man lebt.“

Kaskade an Possen

In Aachen geht es sowieso nur in eine Richtung: nach unten. Der Traditionsclub bietet seit Monaten eine groteske Kaskade von Personalpossen und Dilettantentum: Ein Vizepräsident tritt frustriert zurück, darf das aber tagelang nicht sagen. Der Internet-Betreuer macht auf den brodelnden Fan-Websites unter Falschnamen gute Stimmung – und lässt sich erwischen. Dem Pressesprecher wird gekündigt, darauf muss er seinen eben noch geschassten Vorgänger als Nachfolger einarbeiten. Ein Sportdirektor wird viel belacht per Inserat im Kicker gesucht. Schließlich: Als der ehrenamtlichen Führungscrew um den pöbelfreudigen Präsidenten Hans Bay die Arbeit zu viel wird, wollen sie sich selbst sechsstellig dotierte Beraterverträge geben.

Anfang Oktober sollte alles besser werden. Da hatte sich der Brachialpädagoge Eugen Hach („Würger vom Tivoli“) per hochnäsigem Erfolgs-Zusatzvertrag selbst vom Trainerstühlchen weggemobbt. Der neue Coach Jörg Berger fand ideale Startbedingungen vor, weil nach Hach auch die schwarz-gelbe Tigerente auf der Trainerbank höchsten Kredit gehabt hätte. Berger rügte den aufgeblähten Kader von 30 Leuten – und ließ nachkaufen: Kalla Pflipsen (31), einfacher Nationalspieler, kam vom FC-Vorruhestand. Pflipsens erste Interviews („Immer noch heiß auf Fußball“) waren allerdings so unterkühlt wie sein Premierenauftritt beim 1:5 bei Union Berlin. Und gegen Köln war es nicht besser: Alibipässe, ausgewechselt.

Der angebliche Collins

Die schönste Episode kam Anfang November. Als der Australier Mark Rudan verpflichtet wurde, stellte sich angeblich ein Mann mit angeblichem Namen Bill Collins vor als angeblicher Gesandter des angeblich abgebenden Clubs Sydney Spirits. 290.000 Mark Transfersumme wollte er angeblich haben; bar, weil das angeblich so üblich sei. Das Alemannia-Präsidium gab dem Fremden frohgemut das Geld im Koffer mit.

In Australien angekommen ist der Koffer nie. Collins – who? Aachen rätselt: Wer hat wen ausgetrickst? Ist die Koffergeschichte erfunden, weil sich wer selbst bedient hat? Das Präsidium ist nicht mehr entlastungsfähig, die Ämter ruhen, nicht aber die Verantwortlichkeiten. Ein Mitglied macht schon in Mitleid: „Ich will nicht wegen ein paar Ganoven mein Haus verkaufen müssen.“ Derzeit amtiert ein Notvorstand. Sonderwirtschaftsprüfer durchforsten die Geschäftsräume nach anderen Transfermodalitäten (und weiteren Koffern?). In Australien ermittelt die Bundespolizei, hier die Staatsanwaltschaft wegen Urkundenfälschung und Betrug.

Das Rheinland liebt Dramatik und Pein. Jörg Berger analysierte den Gegentreffer zum 0:2 in beinah Hachschem Feinsprech als „ein Selbstmörder-Dribbling, fast schon der Genickschuss“. Spieler Olivier Caillas empfiehlt der verunsicherten Elf Trainingseinheiten „auf der Couch“. Wenn Erstligist Köln absteigt, ist das, als würde der Dom umstürzen. Wenn Alemannia absteigt, so ein geflügeltes Wort in Aachen, ist das, als würde man dem Namen der Stadt ein a stehlen. Vieles spricht derzeit für Achen. Die lustigen Führungspossen lassen sogar lemnni chen befürchten. BERND MÜLLENDER