Botschafter in der Wüste

Am Kreuzweg der Musikkulturen: Der britische Gitarrist Justin Adams sucht nach der Synthese von Mississippi-Blues und orientalischen Klängen – und findet sie in den Traditionen Nordafrikas vor

von CHRISTOPH WAGNER

„Die Wüste ist von alters her ein Ort, wo man Geistern und Dämonen begegnen kann“, raunt der englische Gitarrist Justin Adams. In der Wüste herrscht eine unendliche Stille, die von flirrend heißer Luft überlagert wird, was eine geheimnisvolle Spannung erzeugt. Die Stille verwandelt sich in Leere und schafft Raum für Gedanken, Geschichten, Bilder und Klänge.

Auf einer staubigen Asphaltstraße, die allmählich immer weiter unter dem Sand verschwindet, macht sich Justin Adams auf den Weg. „Desert Road“ heißt sein Album, das direkt in diese Atmosphäre führt. Da funkeln Gitarrentöne in der Gluthitze, und Melodiebögen verklingen in der Ferne. Klänge wehen wie Sandkörner heran und verflüchtigen sich wieder. Einflüsse von Ali Farka Touré, des Blues-Gitarristen aus Mali, sind spürbar, und die Trance-Rhythmen der Gnawa-Trommler aus Marokko. „Die Sahara ist ein Knotenpunkt, wo sich die verschiedenen Kulturen begegnen, die afrikanische, die arabische und die mediterrane“, erklärt Adams seine Faszination. „Genau um eine solche Synthese geht es auch in meiner Musik.“

Als Solokünstler ist Justin Adams ein Spätentwickler. Zwanzig Jahre hatte er bereits als Musiker gearbeitet, bevor er sein erstes Album unter eigenem Namen veröffentlichte, das enthusiastische Kritiken erntete. Das englische Weltmusik-Fachblatt Songlines wertete es als eine „herausragende Leistung“, und der Guardian nannte den Gitarristen gar „die britische Antwort auf Ry Cooder“. Ein Auftritt beim letztjährigen Womad-Festival in Reading mit seiner neu formierten Gruppe The Wayward Sheiks löste ähnliche Begeisterungsstürme aus. Seitdem ist der Name Justin Adams nicht mehr nur für Insider ein Begriff.

Umso erstaunlicher ist, dass Adams das „Meisterwerk“ (Folkroots) fast im Alleingang im winzigen Heimstudio für weniger als 2.000 Mark eingespielt hat. Dabei entpuppte er sich als flexibler Saitenvirtuose, der nicht nur allen erdenklichen Gitarren die einfühlsamsten Töne entlocken kann, sondern auch ethnische Musikinstrumente wie die Wüstenlaute Ngoni aus Mali effektvoll einzusetzen weiß. Auf dieses Instrument war er erst ein Jahr zuvor gestoßen, als er sich für ein paar Wochen in Mali aufhielt, um ein Album der französischen Gruppe Lo’ Jo zu produzieren. „Diese kleine viersaitige Laute hatte es mir sofort angetan“, gesteht Adams. „Sie besitzt diesen trockenen, islamisch-wüstenhaften Sound, der ein bisschen nach Banjo klingt, mich aber gleichzeitig an frühen akustischen Blues erinnerte, an Mississippi John Hurt oder Blind Willie Johnston.“

Im Klang der Ngoni hörte Justin Adams das Echo seiner Kindheit, die er als Sohn des britischen Botschafters in Jordanien, Libanon und Ägypten verbrachte. „Instinktiv verstand ich die Melodik des Instruments und wusste sofort, dass ich es spielen konnte“, beschreibt er seine Gefühle. „Obwohl wir einen sehr englischen Lebenstil pflegten und wenig Kontakt nach außen hatten, muss sich in mir etwas von der Musik des arabischen Kulturraums abgelagert haben. All diese Klänge, von denen man dort umgeben ist, sind offenbar in mein Unterbewusstsein gesunken – etwa die Rythmen der Darabukka-Trommler auf den Basaren, die Musik auf den Straßen und in den Restaurants oder die Gesänge der Muezzins von den Moscheetürmen herab.“

Ende der Achtzigerjahre bot sich für Justin Adams erstmals die Gelegenheit, diese orientalische Klangwelt in seine Arbeit als Musiker einzubeziehen. Damals war er Mitglied der „Invaders of the Heart“ des Bassisten Jah Wobble, einem ehemaligen Mitstreiter von Johnny Lydon (alias Johnny Rotten) in dessen Post-Punk-Band Public Image Ltd (PIL). „Wobble war aufgeschlossen genug, um meine kleinen arabischen Gitarrenlicks zuzulassen, die normalerweise von Musikerkollegen nur bespöttelt wurden“, erzählt Adams. „Als Bandleader mimte Wobble den wilden Mann und tat völlig unerwartete Dinge, was mich selbst ermunterte, meine zurückhaltende englische Art abzulegen, und in der Musik stärker aus mir herauszugehen.“

Bei Wobble traf Adams auch zwei Sängerinnen, mit denen er seitdem immer wieder zusammengearbeitet hat: Natacha Atlas und Sinead O’Connor. „Beide sind fantastische Vokalistinnen, jede auf ihre Weise“, schwärmt er. „Sie besitzen vollkommen individuelle Stimmen. Während Natacha Atlas stark an arabischem Gesang interessiert ist und jede einzelne Note formt und moduliert, steht Sinead O’Connor mit Leib und Seele hinter jedem Wort, das sie singt, was eine andere, präzisere Begleitung auf der Gitarre verlangt. Man muss ihr einfühlsam bis in die kleinsten Nuancen folgen.“

Um der üblichen Frustration mit Plattenfirmen aus dem Weg zu gehen, rief Adams letztes Jahr kurzerhand sein eigenes Label ins Leben. Dort veröffentlicht er nicht nur seine eigenen Projekte, sondern auch die Musik gleichgesinnter Künstler. „Ich verlasse mich vollständig auf meinen persönlichen Geschmack“, umreißt er die Auswahlkriterien. Als er letztes Jahr auf einem Musikfestival in der Westsahara die Tuareg-Gruppe Tinariwen hörte, ergriff er die Gelegenheit und nahm die Formation auf. „Dieser Sound erschien mir wie die vollkommen organische Synthese meiner eigenen Einflüsse“, beschreibt er die Begegnung. „Da gibt es diese Verbindung nach Schwarzafrika, aber gleichzeitig kann man Vorformen des Blues darin finden, etwa die sich wiederholenden Akkordmuster, das narrative Element, die dunkle Atmosphäre und die magischen Rhythmen. Und im Gegensatz zu den meisten arabischen Kulturen, die den Garten und die Oase preisen und die Wüste hassen, feiern die Tuareg die Wüste, als einen Ort des Friedens und der Stille. Das gefällt mir.“

Justin Admas: „Desert Road“ (Wayward 701). Tinariwen: „The Radio Tisdas Sessions“ (Wayward 703)