Blutrünstige Bande wird zum Partner

Die Bonner Runde befördert den Realitätssinn in Pakistan: Die Regierung verhandelt mit der Nordallianz

ISLAMABAD taz ■ Wenn sich in Bonn afghanische Rivalen umarmen, können die zu Hause Gebliebenen nicht zurückstehen. In den letzten Tagen mehren sich die Signale, dass der als afghanischer Präsident fungierende Burhanuddin Rabbani bald zu einem offiziellen Besuch nach Pakistan reisen wird. Der Sprecher des Außenministeriums in Islamabad sagte am Mittwoch, Rabbani habe zehn Jahre in Pakistan gelebt; sein Land freue sich, ihn willkommen zu heißen. Zu Wochenbeginn war schon der Chef der Nordallianz bei seinem Besuch in den Emiraten mit einer Delegation aus Islamabad zusammengetroffen. Die neuen Töne aus Islamabad, kurz nachdem die Nordallianz hier noch als blutrünstige Bande charakterisiert wurde, sind eine Anerkennung der Realität. Die Allianz stellt heute in Afghanistan die weitaus stärkste – und die einzige organisierte – Fraktion mit dem Willen zu politischer Neugestaltung. Auch wenn dieses Szenario Pakistan wenig passt, kann es nach dem Fall seiner früheren Schützlinge und der Einbindung in die amerikanische Anti-Terror-Koalition wenig dagegen unternehmen.

Doch Pakistans Hofieren der neuen Herren von Kabul folgt noch anderen Zwängen. Es fällt auf, dass man ausgerechnet Rabbani – und auch den Kriegsfürsten der Allianz, Rashid Dostam und Ismail Khan – so viel Aufmerksamkeit schenkt. Alle drei sind nicht Teil der „Schura-e-Nizaar“, der politischen Sammelbewegung des ermordeten Kommandanten der Allianz, Ahmed Schah Massud. In ihr haben die tadschikischen „Panschiris“ das Sagen, sie beherrschen auch die wichtigsten Posten in der herrschenden Administration in Kabul, zu Lasten der anderen Allianzpartner. Dieser Fraktion wird auch ein enges Verhältnis zu Russland und Indien nachgesagt. Massud hätte die letzten Jahre militärisch gegen die Taliban kaum überlebt, wenn er nicht von Moskau massiv unterstützt worden wäre. Die Landung von zwölf Transportflugzeugen in Kabul zu Wochenbeginn – mit einem Feldlazarett, der Einrichtung für die zu eröffnende russische Botschaft und begleitet von bewaffneten Sicherheitsleuten – war ein kleiner diplomatischer Triumph Russlands. Auch Indien hat bereits Botschaftspersonal in Kabul stationiert und arbeitet an der Wiedereröffnung seiner Gesandtschaft.

Laut Diplomaten in Islamabad beobachtet die Regierung diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Ihre Avancen gegenüber früheren Gegnern gewinnen in diesem Kontext an Plausibilität. Sie beschränken sich dabei nicht auf die Rabbani-Fraktion der Nordallianz. Islamabad war maßgeblich daran beteiligt, endlich ein gewisses Maß an Einigkeit unter den Paschtunen herbeizuführen, indem es die Bestrebungen von Pir Sayed Gailani zur Bildung der Bonner „Peschawargruppe“ unterstützte. Es hat dabei sogar seine Distanz zum afghanischen Exkönig überwunden. Laut Zeitungsberichten soll Pakistan sogar die Beziehungen zwischen der Rom- und der Peschawargruppe gefördert haben.

Auch hier, wie überhaupt in der gesamten Afghanistankampagne, steht das pakistanische Volk seinem Präsidenten misstrauisch bis feindlich gegenüber. Das Massaker in Mazar-i Scharif hat zu Drohungen unter den Talibananhängern gegenüber nichtpaschtunischen Flüchtlingen geführt. Auch Paschtunenführer in Peschawar fordern, dass Afghanen, die nicht ihren Stämmen angehören, die Nordwestprovinz zu verlassen haben.

Die Haltung eines Mudschaheddinführers im Süden hat die Ressentiments gegen die Regierung und die USA weiter vertieft: Gul Agha, der vor einer Woche den Ort Takhtapul, gelegen zwischen Kandahar und der Grenze, erobert hatte, erklärte, er habe 160 Taliban erschießen lassen, weil sich diese nicht ergeben wollten. Amerikanische Spezialeinheiten waren Zeugen dieser Exekutionen, konnten sie aber nicht verhindern.

BERNARD IMHASLY