berlin buch boom
Wo in Berlin die Politik gemacht wird
: Reichstag, Bundeskanzleramt und Bundesministerien

Nein, dieses Mal geht es nicht um den Potsdamer Platz. Auch wenn es um neue Architektur in Berlin geht. Dieses Mal geht es um „Die Hauptstadt. Wo in Berlin Politik gemacht wird“. Man hätte es dem Autor Christian Bahr und dem Fotografen Günter Schneider übrigens gewünscht, das Design ihres Bandes wäre anspruchsvoller ausgefallen. Denn entgegen seiner ästhetisch spießigen Anmutung ist ihr Architekturführer durch Parlamentsviertel, Parteizentralen, Ministerien und Botschaften ein gelungenes Buch.

Als Erstes fällt der wohl informierte Gestus auf, in dem sich der ehemalige Morgenpost-Redakteur Christian Bahr den neuen Gebäuden nähert. Ohne die aus Architekturbüchern nur allzu bekannte adorierende Sprache kann er die Tugenden und die Fehler der einzelnen Gebäude in aller gebotenen Kürze beschreiben. „So sieht ein Hochhaus aus, wenn man es flach legt. Wenn der Triumph der Größe nicht mehr die rationelle Funktionalität überdecken kann“, schreibt Bahr über das Paul-Löbe-Haus, „dann müssen sich die Abgeordneten bescheiden und sich gegenseitig beäugen, in ihren 19,5 Quadratmeter großen Normbüros. Eng aneinander gerückt um die acht Höfe gruppiert, eine moderne Berliner Hinterhofkulisse.“ Doch nach diesem furiosen Intro lobt er den Architekten Stephan Braunfels doch, dem es gelungen sei, die ihm aufoktroyierte Masse des Bundestagshauses zu bändigen: „Stephan Braunfels meistert mit dem Paul-Löbe-Haus den parlamentarischen Alltag.“

Zu diesem Alltag gehören auch die Besucher, die mit wenigen Ausnahmen an allen Sitzungen teilnehmen können. Man kann sich also die Sache mit eigenen Augen ansehen. Das ist beim Kanzleramt, das die Berliner als „Waschmaschine“ bespötteln, ganz anders, da muß man auf den Tag der offenen Tür warten, so wie auch bei den vielen Ministerien. Für sie gilt, was im Bundespresseamt von den Architekten KSP Engel und Zimmermann geradezu exemplarisch durchkonjugiert wurde: „Neues bauen, Gebrauchtes umwandeln, Altes bewahren“, wie es Bahr auf eine kurze Formel bringt. Bei dem aus acht unterschiedlichen Bauteilen zusammengesetzten Komplex fällt ein weiteres Mal auf, wie hilfreich die Luftaufnahmen Schneiders sind. Da ist der tatsächlich nur handtuchschmale Büroneubau zu erkennen, der die Blocks des ehemaligen Postscheckamts verbindet, und auch die schöne Fassade der 1884 von Stadtbaurat Herman Blankenstein erbauten Markthalle.

Und so wie er in die Luft gelangt, kommt der Fotograf natürlich auch in viele andere Ecken und Räume, die für andere nicht so leicht zugänglich sind, was tatsächlich zu interessanten, neuen Ansichten führt. Das schlagendste Beispiel ist dafür das Wirtschaftministerium in der Scharnhorststraße 34–37, das zum Invalidenpark hin die barocke Fassade des 1748 eröffneten Invalidenhauses Friedrichs des Großen zeigt, zum Spandauer Schifffahrtskanal hin aber einen lang gestreckten, luftigen Neubau mit Solaranlage und großzügigen Fensterbändern. Man sollte vielleicht öfter Schiffchen fahren, da ließe sich in Berlin eine Menge entdecken. Was aber die Entdeckung der Berliner Politikarchitektur in Buchform angeht: Mit der Lektüre dieses Buches hat man sie gemacht.

BRIGITTE WERNEBURG

Christian Bahr/Günter Schneider: „Die Hauptstadt. Wo in Berlin Politik gemacht wird“. Jaron Verlag, Berlin 2001, 100 Farbfotos, 104 S., 44 DM