Hat der Ethikrat versagt?

JA

Ja, der Nationale Ethikrat hat sich funktionalisieren lassen. Er ist in die Falle gelaufen, die Kanzler Gerhard Schröder ihm gestellt hat. Mit dem Argument, es bestehe Zeitdruck, ließ sich das Gremium eine falsche Frage aufdrängen.

Vorrangig ist nicht die Frage, ob embryonale Stammzellen importiert werden dürfen und wer einen solchen Import genehmigt oder kontrolliert. Dieser Streit lenkt ab von der der eigentlichen Auseinandersetzung, ob Embryonen für Forschungszwecke vernichtet werden dürfen. Das ist die Frage, die jetzt und heute beantwortet werden muss – und nicht erst, wenn die rapide voranschreitende Forschung wieder einmal Fakten geschaffen hat.

Sollten die Stammzellforscher eines Tages Erfolg versprechende Therapien entwickeln, für die eine Vernichtung vom Embryonen unumgänglich ist – dann sind die Folgen absehbar: Dann werden auch die letzten ethisch-moralischen Schutzmauern brechen, die derzeit noch den Zugriff auf Embryonen verhindern oder doch zumindest erschweren. Die menschliche Würde von Embryonen und deren Schutzansprüche werden dann kein Thema mehr sein, auch nicht die Reduzierung von menschlichem Leben zu einem bloßen Mittel für einen angeblich höheren Zweck. Selbst die kommerzielle Verwertung von Embryonen wird dann nicht mehr zu aufzuhalten sein.

Wir müssen heute darüber entscheiden, ob wir eine derartige Entwicklung wollen oder ob uns der Preis dafür zu hoch ist. Mit dieser Entscheidung, die über unsere Zukunft bestimmt, hätte sich auch der Nationale Ethikrat befassen müssen. Statt dessen gibt das Gremium die Empfehlung ab: „Schau’n wir in drei Jahren noch mal.“ Und bis dahin öffnen wir die Türen ein klein wenig. Das kann nicht die Antwort sein.

Ganz abgesehen davon, dass es kaum möglich sein wird, die vom Nationalen Ethikrat empfohlenen Auflagen für den Import auch tatsächlich zu kontrollieren – in drei Jahren wird die Karawane auch ein gewaltiges Stück weitergezogen sein. Ein Zurück wird es dann nicht mehr geben. Nur vorwärts wird es dann noch gehen können.

Dabei ist allen Beteiligten klar: Der Import von Stammzelllinien ist nur der erste Schritt. Die WissenschaftlerInnen wollen mehr, PolitikerInnen wie Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn oder NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement wollen mehr, die Deutsche Forschungsgemeinschaft will mehr.

Und sie werden es bekommen. Mit dem Import von embryonalen Stammzellen ist das grundsätzliche Tabu gefallen. Dann wird es nicht lange dauern, bis erneut die Forderung nach einer Freigabe der so genannten überzähligen Embryonen für die Forschung auf dem Tisch liegt – mit dem Argument, sie würden ja sowieso vernichtet. Schritt für Schritt und scheibchenweise wird in die Realität umgesetzt, was heute noch als Schreckensszenario gilt.

Würde das, was heute angeblich niemand will, zur Entscheidung anstehen – dann gäbe es ein klares Nein. Selbst der Nationale Ethikrat würde sich, so ist zu vermuten, mit deutlicher Mehrheit dagegen aussprechen. Gesellschaftlich und politisch wäre für ein derartiges Konzept keine Akzeptanz vorhanden. Es würde vielmehr einen Aufschrei der Empörung geben. Das weiß auch die Lobby der embryonalen Stammzellforschung. Deshalb auch wusste sie zu verhindern, dass über die Grundsatzentscheidung diskutiert wird, die eigentlich allem vorangestellt werden müsste: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die akzeptiert, dass überhaupt menschliche Embryonen geopfert werden? Zuerst gilt es diese Frage zu beantworten. Sie muss Grundlage aller weiteren Entscheidungen sein. Ist die Antwort Nein, dann spielt es auch keine Rolle, ob die von den Forschern in Aussicht gestellten Heilserwartungen jemals erfüllbar sind.

Der Nationale Ethikrat hat sich vor dieser Frage gedrückt und es vorgezogen, über Importregelungen zu diskutieren. Er hat das Spiel mitgemacht und sich damit vor seiner Verantwortung gedrückt. Das ist ja anscheinend auch viel leichter. Mit der Vernichtung der Embryonen haben wir somit nichts zu tun. Das geschieht im Ausland. Und unsere Forscher können trotzdem weitermachen. WOLFGANG LÖHR

Fotohinweis: WOLFGANG LÖHR (46) ist ausgebildeter Elektromechaniker und studierter Diplombiologe. Seit 1993 arbeitet er bei der taz. Als Wissenschaftsredakteur hat er sich in den letzten Jahren intensiv mit Fragen der Gentechnik beschäftigt.FOTO: ERIK-JAN OUWERKERK