Schill – ein Stern, der verglüht

SPD veranstaltet Tagung zum Rechtspopulismus: Die Hamburger Entwicklung ist ein Kind einer europaweiten Entwicklung. Die etablierten Parteien stricken eifrig daran mit  ■ Von Peter Ahrens

Die Schills kommen und gehen, der Rechtspopulismus bleibt. Für die Wissenschaft ist der Amtsrichter, der zum Innensenator wurde, nur ein vorübergehendes Phänomen. „Herr Schill ist ein Raubritter auf dem Wählermarkt, der im Busch gesessen und auf seine Gelegenheit gewartet hat. Ob er aber mal eine feste Burg bauen kann, das bezweifle ich“, sagt Ulrich von Alemann, Parteienforscher aus Düsseldorf, bekannt aus Funk und Fernsehen. Und auch sein Bonner Kollege Frank Decker ist der Ansicht, dass „der Zenit des Ronald Barnabas Schill womöglich schon überschritten ist“. Zum Zurücklehnen besteht für SPD und CDU trotzdem kein Anlass, der nächste Schill kommt bestimmt.

Die SPD hat zur Fachtagung unter der Überschrift „Rechtspopulismus auf dem Vormarsch?“ geladen, und es hat schon eine gewisse Pikanterie, dass ausgerechnet Ex-Innensenator und SPD-Landeschef Olaf Scholz die Begrüßungsworte spricht – Scholz, der sich im Wahlkampf dem Vorwurf aussetzte, er nehme die Politik Schills vorweg. Sein Eröffnungssatz: „Das Wahlergebnis vom September gibt der SPD genügend Anlass, selbstkritische Fragen zu stellen“ ist denn auch nicht nachträgliches Aschestreuen aufs eigene Haupt, sondern nur Vorlage, um seine These zu stützen, die Partei habe das Thema Innere Sicherheit zu lange vernachlässigt.

So billig lassen ihn die geladenen ExpertInnen auf dem Podium aber nicht davonkommen. Die Göttinger Rechtsextremismusforscherin Ursula Birsl verortet die Gefahr für das politische Klima weniger bei Schill als „bei rechtspopulistischen Tendenzen der etablierten Parteien“, und der Medien- und Parteienforscher Hans-Rudolf Korte von der Uni München erkennt in der gegenwärtigen Politik eine „Stilisierung des Augenblicks, einen Chefsachenmythos, Tageskanzlertum statt Verlässlichkeit“, wie dies vor allem der SPD-Bundeskanzler perfekt beherrsche. Die traditionellen Parteienbindungen existieren nicht mehr, Politik werde zum „Schnäppchenjäger“ – das sei aber nicht nur negativ. Denn wenn sich PolitikerInnen nicht mehr auf ein Stammwählerpotenzial verlassen können, dann „müssen sie sich jedes Mal neu um die WählerInnen bemühen“. So steigen die Chancen eines „politischen Wahlkampfes, statt immer nur die Bergmannskapelle aufmarschieren zu lassen, die ,Der Steiger kommt– spielt“, wie Alemann sagt.

Einer wie Schill hat von der besonderen Hamburger Situation profitiert, darin sind sich die Fachleute am Sonnabend einig. Was nicht heißt, dass er nur in Hamburg reüssieren kann. Der Osten ist ein Revier, in dem Schill beste Voraussetzungen zum Wildern findet: „Ostdeutschland ist noch anfälliger für Law and Order“, sagt von Alemann, die Bindung an die Parteien noch geringer. Im Westen dagegen dürfte sich Schill, so Decker, „an der harten Realität die Zähne ausbeißen“. Angesichts der „Laien und Newcomer“, die für seine Partei in die Parlamente rücken, werde er große Probleme mit der eigenen Organisation bekommen, die Ausweitung auf andere Bundesländer berge zudem stets die Gefahr einer „Unterwanderung von ganz rechts“. Alemann macht klar: „Gegen Schill spricht sein Erfolg.“ Er werde als politischer Amtsträger den Spagat zwischen Regierungsamt und Protestpotenzial nicht durchhalten können.

Nichtsdestotrotz ist mit Schill in der deutschen Parteienlandschaft etwas Neues eingetreten: Erstmals hat es eine politische Kraft rechts von der CDU geschafft, bei einer Wahl Stimmenprozente zu gewinnen, die sonst nur den Volksparteien vorbehalten sind. Für Decker ist der Grund dafür offensichtlich: „Schill ist vom bürgerlichen Lager salonfähig gemacht worden“ – das unterscheide ihn von den rechten Schmuddelkindern vom Schlage Gerhard Freys und seiner DVU.

Auch wenn Schill mit seinen ehrgeizigen Zielen letztlich scheitern sollte, ist der Rechtspopulismus damit nicht verschwunden, führt Decker an Beispielen vor. Schill ist nur Ausfluss einer europaweiten Strömung. Die Front National in Frankreich, die Haider-Freiheitlichen in Österreich, die ausländerfeindlichen Parteien in Norwegen und Dänemark, der Flaams Blok in Belgien, die Lega Nord und die Forza Italia von Silvio Berlusconi in Italien – den Abspaltungen auf der linken Seite des Parteienspektrums aus den 70ern folgten die Sezessionen von rechts. Antimodernismus, das Empfinden diffuser Zukunftsangst, das „romantisierende Sehnen nach einer überschaubaren Gesellschaft“, ein tiefer Vertrauensverlust in die Akteure der Politik, einhergehend mit einer Fremdenfeindlichkeit „aus wohlfahrtschauvinistischen Motiven“ – all das begünstigt die Gruppierungen, die rechts von den Konservativen auftreten.

Die sind denn auch gemeinhin die Verlierer dieser Entwicklung. Die konservativen Parteien in Italien und Österreich sind verschwunden oder haben stark an Stimmen eingebüßt; die Verluste der CDU in Hamburg sind für die Parteienforscher daher keine Überraschung. Skurrilerweise sind gerade in dieser Phase der Schwäche die Regierungschancen für die Konservativen wieder gestiegen: Während sozialdemokratische Parteien sich in der Mitte breit machen, erwächst den Bürgerlichen rechts von ihnen unvermittelt eine neue Option von Koalitionspartnern. Österreichs Konservative haben diese Chance ergriffen, Ole von Beust hat es nachgemacht.

Rezepte für die Volksparteien, gegen die Populisten von rechts vorzugehen, sieht Decker nur zwei: Entweder steigen sie auf die Themen, die ihnen von rechts vorgegeben werden, ein und passen sich ihnen an, oder sie gewinnen Profil durch eine deutliche Abgrenzung. Der Satz von Olaf Scholz am Sonnabend: „Es kann der SPD nichts Besseres passieren, als wenn an den Stammtischen genau das geredet wird, was wir als Partei vertreten“, lässt nicht unbedingt erwarten, dass die Hamburger Sozialdemokratie die zweite Variante anstrebt.