montagsmaler
Solidarität und der Zeitungsmarkt
: Gezeichnet: Goofy Unterberger

Der moz-Verkäufer steht immer an der gleichen Stelle. Wenn man einkaufen geht, weiß man, man wird den moz-Verkäufer treffen. Eigentlich macht er gar nichts. Er steht da nur, um die vierzig vielleicht, stundenlang, etwas bleich und frisch gewaschen, zwischen Gehweg und Geldautomaten und wirkt wie ein Leib gewordener Vorwurf. Man geht diesem Vorwurf aus dem Weg, indem man den Augenkontakt meidet. Am liebsten würde man ihm sagen, hör mal, auch andere Leute haben Probleme.

Meist kaufe ich die moz nicht, weil ich ihn ja fast jeden Tag da sehe, weil ich die letzte moz schon habe oder weil ich es letzte Woche nicht mal geschafft hab, alle Probeabo-Zeitungen durchzulesen. Ungelesene Zeitungen sind wie stille Vorwürfe.

Einerseits ist es toll, dass es soviele Zweiwochenumsonstabos gibt, andererseits geriert das Probeabo täglich die Leseverpflichtung und damit auch noch ein Gefühl wie Schularbeiten nicht gemacht zu haben, wenn man ihr nicht nachkommt.

Man bekommt, glaube ich, zwei mal zwei Wochen im Jahr umsonst. Danach sollte man bei der Bestellung des Probeabos seinen Namen leicht variieren, zwei, drei Buchstaben einfügen, weglassen oder verändern oder gleich einen neuen Namen wählen. Man muss dann nur aufpassen, dass man auch mit dem neu ausgedachten Namen unterschreibt. Es ist nämlich peinlich, wenn man stolz auf den Namen Goofy Unterberger ein Probeabo bestellt und dann mit dem eigenen Namen unterschreibt.

Egal. Mit Andreas dagegen hatte ich ein gutes Verhältnis. Er stand ein paar Monate bei „Kaiser's“, hatte den Leuten immer die Tür aufgehalten, wenn sie rauskamen, und verkaufte nebenbei auch noch Krimskrams. So ein schüchtern unaufdringlicher Typ eben, der niemanden störte. Wir sprachen immer ein bißchen miteinander. Er sagte, er sei Junkie, hätte Aids und wolle eine Haschpartei gründen.

Die Kaiser's-Schergen bedrängten ihn zunächst, indem sie die Eingangstür auch bei schlechtem Wetter aufließen und ihm so die Möglichkeit nahmen, auf unaufdringliche Art behilflich zu sein. Das letzte Mal hatten wir über www.muenzwert.de gesprochen. Er hatte eine Plastiktüte mit lauter Ein- und Zweipfennigstücken dabeigehabt. Dann war er plötzlich nicht mehr da. Vermutlich Platzverbot. Seitdem kaufe ich öfter bei „plus“ ein.

Samstagnachmittag geht das nicht. Da hat nur noch Kaiser's auf. Über den Kassen von Kaiser's hängen Schilder, auf denen steht: „Klasse Weihnacht!“ Es wäre schöner und würde einem einen guten Drive für den Tag mitgeben, wenn da „Scheiß Weihnacht!“ stehen würde.

Die Leute, die auf der Straße leben, haben kein Namensschild an ihrer Tür. Im Bethanien gibt es eine Ausstellung mit dem Titel „auf der Straße“. In einem Ausstellungsraum hängen Porträtfotos der Teilnehmer des „Kongresses der StraßenexpertInnen“, der im Sommer in Linz stattgefunden hatte. Die Fotos sind schön und auf ganz teurem Papier. Unter ihnen steht der Name des Fotografen. Die Fotografierten dagegen sind namenlos, obgleich sie doch die ExpertInnen sind, die ihr Straßenwissen in Linz vorgestellt hatten.

Obgleich einige von ihnen in Berlin wohnen, hatte man keinen zur Ausstellungseröffnung eingeladen. Obdachlose haben halt keinen Namen. Lustig dabei, dass nur einer der namenlos fotografierten Obdachlosen auch tatsächlich aktuell, allerdings selbst ausgesucht obdachlos ist. Die anderen waren mal obdachlos und engagieren sich teilweise seit Jahren in der Obdachlosenarbeit.

Das Wochenende war überschattet von den Restwirkungen einer Party, an deren Ende ich zuviel Kaffee getrunken hatte, was zu blöden Tagesverschiebungen führte. Lange sprachen wir über George Harrison. Der kluge Kollege dachte, ich würde ihn verachten, weil er für die FAZ schreibt. Freunde hätten sich deshalb von ihm abgewandt. Natürlich nicht weiter schlimm, für die FAZ zu schreiben, allerdings schade, dass in zwei, drei Jahren keiner mehr daran denken wird, dass es lange unter vielen klugen Leuten als ehrenrührig galt, für die FAZ zu schreiben. Die FAZ ist die PDS des Westens.

DETLEF KUHLBRODT