Hertha macht drei Big Points

Nach dem 2:1 über den FC Meister Bayern München im Sonntagspiel der Fußball-Bundesliga darf Hertha BSC Berlin die Ansprüche wieder etwas anheben. Der Machtwinner heißt erneut Pal Dardai

von FRANK KETTERER

Momente wie diesen genießt der Fußball-Lehrer Jürgen Röber am liebsten im Stillen und ganz alleine für sich. Ein kurzer Jubelschrei nach Schlusspfiff, eine geballte Faust, später schließlich die selbst nach Siegen eher nüchtern gehaltene Analyse vor versammeltem Pressevolk – das reicht ja auch durchaus aus. Zumal man in diesem Geschäft ja nie weiß, wie lange die Glücksgefühle andauern, bei Hertha noch weniger als anderswo. Am Donnerstag steht schon wieder die Partie gegen Servette Genf an, diesmal im Uefa-Cup.

„Wochen der Wahrheit“ hat Jürgen Röber (47) das vor kurzem einmal genannt. Im Stillen und ganz für sich wird er das 2:1 über die Bayern vom Sonntagabend aber schon noch richtig gefeiert haben. Denn zum einen ist es nicht sonderlich schwer zu erraten, was in der Hauptstadt schon wieder geschwätzt und auch geschrieben worden wäre, wenn Hertha schon gleich den Start in die Wahrheitswochen verpatzt hätte, zum anderen darf Röber das Spiel vom Sonntag durchaus als Beleg nehmen dafür, dass die eigene Elf seit Rundenbeginn und trotz (oder gerade wegen?) Sebastian Deislers Verletzung gewachsen ist.

Daran nämlich hatte es trotz der zuletzt neun Pflichtspiele ohne Niederlage nach wie vor Zweifel gegeben, schon weil die Erfolgsserie gegen eher minderwertige Gegner wie Wolfsburg, Gladbach oder Nürnberg und nach größtenteils nur mäßig berauschenden Leistungen zustande gekommen war. Nun aber ist der FC Bayern München besiegt, seit Mitte letzter Woche die „offiziellweislich beste Vereinsmannschaft der Welt“ (Röber) – und das will nun wirklich was heißen.

Zumal der Sieg keineswegs zufällig zustande kam, sondern durchaus wohl verdient. Größere Sorgen um die Kicker aus der Hauptstadt mussten sich die Hertha-Fans nämlich nur in der Anfangsviertelstunde machen, in der die Bayern, ganz offenbar noch beflügelt vom Sieg in Tokio, die Berliner über den Haufen zu rennen drohten, was sich in Großchancen für Elber (6.) und Zickler (16./Lattenkracher) niederschlug.

Immerhin: Der Knaller schien vor allem auf das Berliner Mittelfeld belebende Wirkung zu entfalten. Namentlich Maas und Tretschok fassten augenscheinlich den Entschluss, dem Münchner Spielmacherkollektiv Fink/Sforza nicht mehr nur hinterherzusetzen, sondern übernahmen zusehends selbst die Initiative. Zumal Marcelinho immer mehr Betriebstemperatur erreicht zu haben schien in kalter Berliner Nacht – und in der Offensive immer mehr zum kleinen, aber feinen Unterschied zwischen zwei ansonsten gleichwertigen Teams wurde. Dass die Berliner dabei mittlerweile durchaus auch mental gefestigt sind, bewies der zweite Durchgang, der per Schocksekunde begann: Ehe alle Zuschauer zurück waren, hatten die Bayern durch Nico Kovac zugeschlagen – 0:1.

Doch was Hertha vor ein paar Wochen noch aus dem Konzept gebracht hätte, machte sie diesmal nur noch stürmischer. Erst brachte Marcelinho per Kunstschuss Kahn-Stellvertreter Wessels in Verlegenheit, dann rollte Angriff auf Angriff auf den Bayern-Kasten, eher zwangsläufig fiel da der Ausgleich durch den gerade eingewechselten Neuendorf (71.). Dass Hertha selbst damit noch nicht zufrieden war, sondern nachsetzte und auch noch den Siegtreffer – wie zuletzt im Pokal in Erfurt – durch Dardai erzwang (84.), dürfte für die Mannschaft weitere Signalwirkung besitzen.

Ob Bayern sich „selbst geschlagen hat“ im Kampf um die Big Points“, wie Nico Kovac vermutete, interessiert heute keinen mehr. „Wir mussten diese drei Punkte unbedingt haben“, sagte Dardei, „und wir haben es geschafft.“ Die Wochen der Wahrheit hätten nicht besser beginnen können. Der Winter kann kommen.

Hertha BSC: Fiedler - Schmidt, (69. Daei), van Burik, Sverrisson, Simunic - Dardai, Maas (62. Neuendorf), Tretschok (90. Lapaczinski) - Goor, Preetz, Marcelinho FC Bayern München: Wessels - Sagnol, Kuffour, Linke, Lizarazu - Niko Kovac (82. Scholl), Sforza (73. Hargreaves), Fink, Sergio - Elber (73. Pizarro), ZicklerZuschauer: 52 000 (ausverkauft) Tore: 0:1 Niko Kovac (46.), 1:1 Neuendorf (71.), 2:1 Dardai (84.)