Über die Hauptstraßen nach Westen

Die PDS wählte auf ihrem Parteitag im Rathaus Schöneberg den 28-jährigen Stefan Liebich zum neuen Landesvorsitzenden. Der will seine Partei im Westteil der Stadt auf 10 Prozent der Wählerstimmen bringen

Manchmal kann einem die PDS fast schon unheimlich werden. Kurz nachdem die Stimmzettel für die Wahl eines neuen Landesvorsitzenden eingesammelt waren, gab PDS-Pressesprecher Axel Hildebrandt am Samstag auf Nachfrage seinen Tip für das Ergebnis ab. Er lautete: „75 Prozent.“ Nur wenige Minuten später wurde auf dem Podium das Resultat der Abstimmung bekannt gegeben: Stefan Liebich, der einzige Bewerber für die Nachfolge von Petra Pau, war von 75 Prozent der im Rathaus Schöneberg versammelten Parteitagsdelegierten zum neuen Landesvorsitzenden gewählt worden.

22 der 124 Stimmberechtigten hatten sich gegen Liebich ausgesprochen, neun enthielten sich. Zu stellvertretenden Landesvorsitzenden bestimmte der Parteitag die bisherigen Vizelandeschefs Almuth Nehring-Venus und Udo Wolf sowie die Bezirksvorsitzende von Lichtenberg-Hohenschönhausen, Annegret Gabelin.

In seiner Antrittsrede kündigte der 28-jährige Diplombetriebswirt an, im Westteil der Stadt künftig zehn Prozent der Stimmen für die PDS holen zu wollen. Bisher liegt die Partei dort bei rund sieben Prozent. Bei der Bundestagswahl 2002 hält Liebich den Gewinn aller fünf Direktmandate im Osten Berlins für möglich.

Der neue Landesvorsitzende forderte von seiner Partei außerdemMut zu Strukturveränderungen. So soll die Zahl der Geschäftsstellen im Westen erhöht und im Osten verringert sowie die Zusammenarbeit zwischen Landesverband, Bezirksverbänden und Fraktion besser koordiniert werden. Die PDS müsse „raus aus den Nebenstraßen, rauf auf die Hauptstraßen“, ermunterte Liebich seine Genossen. Außerdem soll das Image der Partei moderner und jugendlicher gestaltet werden.

Einen Schlussstrich unter die Vergangenheitsdebatte der PDS schloss der bisherige stellvertretende Landesvorsitzende und Abgeordnete aus. „Mit mir wird es kein ‚Schwamm drüber‘ geben.“ Die Auseinandersetzung mit der Geschichte sei notwendig, um in der Gegenwart einem Abbau von Bürgerrechten glaubwürdig entgegentreten zu können.

Liebichs Vorgängerin Petra Pau will sich nach neun Jahren an der Spitze der Berliner PDS stärker als stellvertretende Bundesvorsitzende einbringen und war daher nicht wieder angetreten. In ihrer Abschiedsrede kritisierte Pau die bislang vorgelegten Sparpläne der Ampelkoalition als „unsozial, unredlich und unsolide“. Der Fraktionsvorsitzende Harald Wolf kündigte eine harte Opposition gegen eine mögliche Regierung aus SPD, FDP und Grünen an: „Die sollen sich warm anziehen.“

PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi warf dem Ampelbündnis vor, pauschale Kürzungen vorzunehmen, statt zuerst die Aufgaben der Verwaltung neu zu definieren. „Was mich entsetzt, ist die geringe intellektuelle Qualität der Verhandlungen“, sagte Gysi, der eine „knallharte Opposition“ ankündigte. Die Grünen beschuldigte er, „für nichts auf der Welt“ auf eine Regierungsbeteiligung verzichten zu wollen. Wie alle anderen Redner würdigte auch Gysi die erfolgreiche Arbeit der bisherigen Landeschefin. Petra Pau sei zwar manchmal „unterschätzt“ worden. „Aber das ist immer noch besser als überschätzt.“ ANDREAS SPANNBAUER