Hass liegt fern

Horst Tomayer war im „Club der letzten Gerechten“ im Roten Salon so überzeugend wie ein bayrischer Anarchist

Hermann L. Gremliza ist vor kurzem 60 geworden. Unermüdlich schreibt er die Wahrheit über die Welt, geißelt die Freunde der Lüge. Jenseits des alles verschlingenden Kapitalismus kann er sich nur „eine Art aufgeklärter Erziehungsdiktatur“ (Freitag) vorstellen. Am Samstagabend sollte Gremliza mit dem konkret-Hausdichter Horst Tomayer im „Club der letzten Gerechten“ im Roten Salon der Volksbühne auftreten.

Leider war er krank geworden. Für ihn sprang der Veranstalter und Verleger Klaus Bittermann ein. Das Publikum schien studentisch. Eingangs sang William S. Burroughs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“; dann traten Bittermann und Tomayer auf die Bühne. Dieser urban elegant mit rotem Stern am Revers, jener in einem dieser hellblau verwaschnen, kragenlosen, äußerst angenehmen Oberkleider, die früher alle Linksalternativen trugen und deren korrekte Bezeichnung einem nie einfällt. „Nicki“ wäre falsch, weil flauschig angeraut sind diese Dinger ja im Innern; „Männerunterhemd“ trifft’s aber auch nicht.

Horst Tomayer hat dezent wirre graue Haare. Früher – in den 50ern – war er mal bei der Versicherung, später, Anfang der 70er dann – zusammen mit Henryk M. Broder – Redakteur der St. Pauli Nachrichten. Wolfgang Neuss spielte auch eine Rolle. Vermutlich Purpfeifenpraktikum. Egal. Tomayer ist so überzeugend, wie bayrische Anarchisten zu sein pflegen. Er liest gut, mit schöner Theaterstimme, hat Freude dabei, trinkt Kaffee und Bier und schaut verschmitzt in die Welt. Die gemeine Bitterkeit ist seine Sache nicht – selbst der öffentliche, mahnende Brief, den er mal an den Kollegen Bröckers schrieb, der sich in einer Theweleit-Besprechung vergaloppiert hatte, schien nicht ohne Sympathie.

Wo man bei anderen den Eindruck hat, sie würden die mediokren Gestalten, die sie in ihren Texten oft selbstgefällig geißeln, am liebsten gleich totschießen, liegt Bruder Hass Tomayer fern, ohne dass er es sich wiederum in einer mit „liebevoller Ironie“ gefüllten Badewanne bequem machen würde. Noch schöner, als ihn zu lesen, ist es, Horst Tomayer zuzuhören, zuzugucken, wie er seine ausufernden, lustig-wortgewaltigen Balladen vorträgt. Es geht um oder gegen die Bild-Dreckszeitung, die „Wachsfigurendekolletés“ von Ariane Sommer, der Kusine von Theo, Naddel usw., um Liebestrennungen mit finalem Schuss, Singles zu Weihnachten, „Paul, den Pornoregisseur“, und dergleichen. Ihn abwechselnd machte Klaus Bittermann Michel Friedman, Henryk M. Broder, Alice Schwarzer, Iris Berben und Renate Künast nieder. Ein leichtes Spiel. Man braucht diese Leute ja nur zu zitieren und die üblichen Verben vors Zitat zu setzen: „blubberte“, „schreibselt“ etc.

Andererseits ist es sehr verdienstvoll, die Sätze des Ekelstrebers Michel Friedman etwa – „ganz zweifelsohne ein positivistischer Rabauke“ (Tomayer) – mitzuschreiben und zu veröffentlichen. Den Abend beschloss Horst Tomayer mit einem Evergreen: „Kapital, Kapital – du bist nicht unser Fall! / Du willst unser Herz und Hirn / wohl mit dir infiziern.“ DETLEF KUHLBRODT