Weiterüben

Androgyne Wesen stehen aufrecht auf grauen Quadern und balancieren rote Kugeln auf dem Kopf: Sheila Barciks Arbeiten über den Umgang mit sich selbst und den immer absurder werdenden Alltag in der Galerie Weißer Elefant

Das Leben ist wie eine Hühnerleiter, hat mein Oma öfter gesagt, nämlich kurz und beschissen. Das meint im übertragenen Sinne auch Sheila Barcik, die seit Mai dieses Jahres in Berlin lebt. Ihre in der Galerie Weißer Elefant ausgestellten Arbeiten bestehen mal aus zwölf, mal aus 192 einzelnen Zeichnungen in A4-Größe. Eins der Riesenbilder wird von einer Leiter durchzogen. Eine männliche Figur hangelt sich von Sprosse zu Sprosse wie von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt. Einmal macht die Leiter einen Knick.

Da helfen auch keine Polster, die Barciks Männer um die Hüften tragen. Mensch holt sich zeitlebens blaue Flecken. Ständig ist man hin- und hergerissen: Hier das Ich und die verschiedensten Gefühle. Dort die rationale Umwelt. Und mittendrin Sheila Barcik, die zeichnerisch Auswege aus diesem Dilemma zeigt. Androgyne Wesen stehen aufrecht auf grauen Quadern und balancieren rote Kugeln auf dem Kopf. Eine Zeichnung weiter sind die Figuren gebückt und jetzt scheinen die gleichen Kugeln an ihnen zu kleben.Das rote Rund als Metapher für das Ich: Der Umgang mit dem Ego will gelernt sein. Dabei baut der Homo sapiens auf Stützen. Wohl deshalb zeichnet die Amerikanerin Menschlein, die auf Bäume klettern, um suchend Ausschau nach Hilfe zu halten.

Andere sind durch Schläuche mit Baumstämmen verbunden, spenden oder saugen Lebenssaft. Eine menschliche Gestalt löst sich fast völlig auf, verschwindet in einer grünen Masse, vielleicht der kosmischen Ursuppe. Denn darunter ist ein Zellkern zu sehen, der sich zu teilen beginnt. Schnell, sozusagen eine Zeichnung weiter, ist der Mensch erwachsen, einsam, doch nicht allein. Wie aus einem Sciencefiction-Film muten Bilder an, die Menschen mit aus Ohren und Nasenlöchern quellenden roten Gebilden zeigen, die an Blutkreisläufe erinnern.

Diese filigranen Wucherungen kehren wie die Farbe Rot immer wieder. Das Leben ist ja auch eine Art von Endlosschleife. Aus der man aber ausbrechen kann. Sheila Barcik macht es vor, zumindest auf dem Papier mit Kohle- und Bleistift, Ölfarbe und Wachs.

Der eigenen wie gesellschaftlichen Starre, dem Gefangensein in alten Mustern zu entkommen, das braucht starken Willen. Eine Frau hangelt sich an einem Brett nach vorn, auch wenn der Absturz bedrohlich nah rückt. Männer auf Stelzen wirken alles andere als sicher. Immer weiterüben, scheint Sheila Barcik zu empfehlen. Nur nicht verzagen, denn es lohnt: Eines der riesigen Bilder-Lebens-Puzzle ist von einem Fluss durchzogen. Durch diesen blauen Strom des Lebens schwimmen vergnügt Menschen.

Das alles macht die Kunst von Sheila Barcik therapeutisch, zumal ihre gezeichneten Menschen als verschiedene Selbstbildnisse zu lesen sind. Wohl deshalb wird die aus Buffalo (New York) Stammende als Geheimtipp gehandelt. Denn Sheila Barcik könnte zu einer wichtigen Chronistin eines immer absurder werdenden Alltagslebens werden. ANDREAS HERGETH

Bis 15. Dezember, Di.–Fr. 14–19; Sa. 13–17 Uhr, Galerie Weißer Elefant, Auguststraße 21, Mitte