Fels in der Brandung Gender Trouble

Rotblond, bullig, tapfer: Ben Becker macht seine Schauspielsache gut, aber irgendetwas nervt. Vielleicht ist es seine Präsenz in den Medien, vielleicht ist es auch sein verspätetes Punk-Image, sein viel geäußerter Wunsch, die Dinge ernsthaft zu verändern

von JANA SITTNICK

Ben Becker arbeitet viel. Auf der Leinwand ist er präsent, auf der Bühne, in den Plattenläden, im Nachtleben. Er erfreut das Kinopublikum als Berliner Einbrecherkönig Franz Sass, und er verstimmt Feingeister mit der „Mitte-Sucks“-Kampagne. Der kommerzielle Erfolg ist ihm hold. Und Beckers große Kinofilme, „Gloomy Sunday“, „Comedian Harmonists“ und „Sass“ weisen eine merkwürdige Gemeinsamkeit auf: Ihre Geschichten sind allesamt mit der des Dritten Reiches verknüpft und arbeiten sich, mehr oder weniger direkt, an der Nazi-Problematik ab. Deshalb sagt Ben Becker, dass er Nazi-Uniformen vorläufig nicht mehr anzieht.

Er hat keine Lust mehr auf Filmplots über die 20er- und 30er-Jahre. Er will lieber „mal was übers Mittelalter“ drehen oder „Science Fiction“. Er will auch mal der Böse sein, in einem Bond-Film. Also warten wir gespannt auf den Kuttenbruder, den Jedi-Ritter, den deutschen „Doctor No“. Und währenddessen können wir ihm ja zuhören, wie er Kinskis frühe Gedichte vorliest, in denen es viel um Fieber und Eiter, Blut und Mutterbauch geht.

Dass Becker seine Schauspielsache gut macht, steht außer Zweifel. Überzeugend verkörpert er die derben und zugleich raffinierten Jungs, die mit der einfachen Kinderstube, die sich durchboxen, hochkommen und mitspielen, die Zigarre rauchen, in den Puff gehen und heimlich Studentinnen lieben. Becker konjugiert die „Raue-Schale-weicher-Kern“-Variante durch, rotblond, bullig, tapfer – und es gelingt ihm auch, seine Rolle zu brechen. Dann parodiert er sich selbst. Mit seiner hemdsärmeligen Art und dem – antrainierten – Berliner Slang, einem unintellektuellen Weltverständnis und der Zupacker-Aura ist der Schauspieler Ben Becker als männliches Role-Model bestens platziert. Wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung des „Gender Trouble“.

Doch irgendetwas nervt. Vielleicht liegt das an Ben Beckers Selbstinszenierung als öffentlicher Person, die provozieren will, um „etwas zu bewegen“, oder an der öffentlichen Anteilnahme an seiner Person, die sich in kritikloser Bewunderung oder bösartigen Klischees ergeht. Oder an beidem. Becker liefert das Futter, die Medien bedienen sich. Er bekommt erstaunlich schlechte Presse, zumindest in Berlin, der Boulevard meldet, dass Becker am frühen Morgen mit seiner Tochter im Kinderwagen durch die Straßen getorkelt sein soll. Umgekehrt beschimpft Becker die Presse als „Journaille“ und ihre Arbeiter als „Pimmelköpfe“. Er trägt ein spätes Punk-Image mit sich herum, eine Haltung, die politisch motiviert ist und „wachrütteln“ will. „Provokation um der Provokation halber ist inhaltslose Kacke“, ruft der Schauspieler aufgebracht, als wollte er sich gegen einen unausgesprochenen Vorwurf wehren, „es geht doch darum, Dinge ernsthaft in Frage zu stellen.“ Wie den Berlin-Mitte-Hype der Unbedarften.

Der Bezirk entwickle sich zum geleckten „Telekom“-Planeten, das musste Becker mal sagen. Seit sechs Jahren wohnt Ben Becker am Hackeschen Markt, seit diesem Sommer tut er kund, dass er wegziehen will, weil ihn die Edelstahlfassaden nerven. „Und dann kamen die jungen Typen von ‚Mitte Sucks‘ und gaben mir das T-Shirt, ich zog das an, die machten ein Foto und stellten das auf ihre Website“, lacht Becker, „ich hätte nicht gedacht, dass das so hochgeschaukelt wird.“ „Mitte nervt“, steht nun auf Beckers T-Shirt-Bauch. „In der Zeitung hat jemand geschrieben, ich soll bloß nicht nach Kreuzberg kommen, weil sie dort solche Scheiß-Trendsetter wie mich nicht brauchen.“ Becker lacht wieder, aber es klingt nicht frei, eher gekränkt. „Jeder, der sich aus dem Fenster lehnt und Sachen macht, auf die er Lust hat, muss wissen, dass es dafür auf die Finger und auf die Fresse gibt.“

Es ist nicht erstaunlich, dass Ben Becker etwas „zu Kinski“ macht. Immerhin hat Klaus Kinski in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen, den 75. Geburtstag und den 10. Todestag. Becker und Kinski, ein Treffen der Skandalnudeln. „Das war nicht mal meine Idee“, beteuert Ben Becker, „Der Eichborn Verlag hat bei mir angefragt, und dann vertonten Alex Hacke und ich zwölf Gedichte.“ Eine Kinski-Lese-CD erschien, und Becker las live. Im Juni hatte „Eichborn“ die 1952 von Klaus Kinski geschriebenen, verschollenen und von Peter Geyer bei einer Internetauktion wiederentdeckten Gedichte herausgebracht. Im August las Ben Becker die Gedichte aus „Fieber – Tagebuch eines Aussätzigen“ in der „Bar jeder Vernunft“ und vor den klassizistischen Ruinen auf der Museumsinsel.

Der vermeintlichen Kinski-Becker-Symbiose wollten erstaunlich viele Menschen beiwohnen: Zweitausend Zuschauer kamen zu dem Open-Air, siebenhundert hatten die Veranstalter erwartet.

Becker ist von der Resonanz ebenso überrascht wie geschmeichelt. „Wenn die Leute das wollen, dann tingel ich eben“, sagt er nach der dritten Berliner Lesung im November im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Bis Weihnachten wird der Schauspieler deutschlandweit mit Kinski unterwegs sein. Natürlich sei das eine Herausforderung, Kinski vorzutragen. „Am Anfang hatte ich ganz schön die Muffe, wie ich das machen soll“, gibt Becker zu, „Kinski kann man doch gar nicht nachmachen.“

Als Performer nähert er sich der Vorlage, wühlt sich in das Textmaterial, eine poetisch fragwürdige Villon- und Rimbaud-Mimikry, hinein und tritt im nächsten Moment wieder heraus. „Ich imitiere Kinski nicht, ich interpretiere ihn“, sagt Becker. Ihn interessiere nicht so sehr der literarische Wert der Gedichte, sondern vielmehr, wie Klaus Kinski sich wohl als 25-Jähriger gefühlt haben mag. Und so liest Becker sehr nüchtern, mit geschulter Stimme und Sprachgenauigkeit, und vermeidet zum Glück auch jede theatralische Übertreibung.

Seine Band „Zero Tolerance“ liefert die passenden Soundcollagen, Düsenjägergeräusche und Orienttrommelwirbel. Ben Becker „choreografiert“ die Gedichte, er lässt Pausen dazwischen, in denen nichts passiert. Er schaut in den Zuschauerraum und lächelt wie ein unsicherer Junge.