Gutachtentrauma

Ausländerbehörde bezweifelt erneut die attestierte Traumatisierung bosnischer Flüchtlinge und verlangt Zweitgutachen für Aufenthaltsrecht

von MARINA MAI

Die Innenverwaltung verweigert traumatisierten Flüchtlingen aus Bosnien und dem Kosovo weiterhin ein Aufenthaltsrecht. Dieses würde ihnen nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom vergangenen November zustehen. Doch dutzende dieser Flüchtlinge wurden nun aufgefordert, ihre attestierte Traumatisierung durch einen von der Ausländerbehörde benannten Zweitgutachter erneut untersuchen zu lassen, berichtet Flüchtlingsrats-Sprecher Jens-Uwe Thomas.

„Damit setzt die Ausländerbehörde das Misstrauen gegen die Psychologen und Psychiater des Behandlungszentrums für Folteropfer und ähnlicher Einrichtungen fort“, sagt der Rechtsanwalt Harald Schandl, der mehrere Betroffene vertritt. „Die Behörde überlegt, wie sie den Aufenthalt der Menschen beenden kann, und nicht, wie man ihn sichern kann, wie es inzwischen in anderen europäischen Staaten geschehen ist.“ Für Schandls Mandanten, die im Bürgerkrieg von Bosnien-Herzegowina Schlimmes erlebt haben und seit Jahren auf eine Lebensperspektive in Berlin warten, hat diese Ungewissheit Folgen. „Eine Traumatherapie ist in einem Gefühl der Unsicherheit sehr schwer und wird immer wieder Rückfälle erleiden.“ Eine seiner Mandantinnen sei erst kürzlich in die Psychiatrie eingewiesen worden. Die Vorladungen zu Zweitgutachten erinnern seine Mandanten an die Praxis des polizeiärztlichen Dienstes zu Beginn des Jahres und würden deshalb Panik auslösen, so Schandl.

Eine umstrittene Polizeiärztin hatte viele traumatisierte Flüchtlinge für gesund und damit abschiebetauglich erklärt. Das Verwaltungsgericht hatte in vielen Fällen die Entscheidungen dieser Ärtzin zurückgenommen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Berliner Ärztekammer, Thorsten Lucas, sprach von einem „gravierenden menschenrechtlichen Problem“. Erst im März hatte der CDU/SPD-Senat nach bundesweiten Protesten die Gegengutachten durch die Polizeiärztin eingestellt.

Doch ein Aufenthaltsrecht haben nach Schätzungen des Flüchtlingsrates bisher weniger als 10 Prozent der Antragsteller. Amtliche Schätzungen gehen von rund 4.000 Menschen aus dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina aus, die eine Traumatisierung geltend machen oder Familienangehörige von Traumatisierten sind.

Doch die Ausländerbehörde hat zu wenig Personal. Die Bearbeitung aller Anträge würde fünf Jahre dauern, meint Flüchtlingsrat-Sprecher Thomas. Die rot-grüne Übergangsregierung stellte daher trotz Personalengpässen mehr Mitarbeiter für die Antragsprüfung bereit.

Doch statt endlich den Aufenthaltstitel auszustellen, schicken sie die Flüchtlinge zu Zweitgutachtern. Die neuen leitenden Dienstkräfte sollten „vordringlich die Entscheidung für eine Zweitbegutachtung treffen“, steht in einem Brief, den Anwalt Schandl von der Behördenleitung erhalten hat.

„Die Ausländerbehörde verkehrt den Willen der Parlamentarier in sein Gegenteil“, ärgert sich der gerade aus dem Parlament geschiedene Hartwig Berger (Grüne). Man habe die Personalaufstockung veranlasst, um traumatisierten Flüchtlingen schneller eine Lebensperspektive zu geben, nicht damit ihnen erneut misstraut werde. Zweitgutachten sollten absolute Ausnahme sein, sei zwischen SPD, Grünen und PDS vereinbart worden.

Die Sprecherin des Innensenators Ehrhart Körting (SPD) weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben den Willen, die Prüfungen zügig durchzuführen. Wenn es Widersprüche zwischen den Angaben im psychiatrischen Gutachten und denen in unseren Unterlagen gibt, die nicht anders ausgeräumt werden können, müssen wir eine Zweitbegutachtung in Auftrag geben.“ Damit gibt sich Berger nicht zufrieden. Er hat den Innensenator um ein Gespräch gebeten.