Ein Kämpfer für die Menschenrechte

Gerhart Riegner, langjähriger Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, ist in Genf gestorben

GENF taz ■ Aus seinem Sessel konnte er nicht mehr ohne Hilfe aufstehen. Seine Stimme war schwach, manchmal undeutlich geworden – und doch war er voll da, genoss diese Reise nach Berlin, die seine letzte werden sollte. Als Gerhart Riegner, der langjährige Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Mitte Oktober in seine frühere Heimatstadt reiste, wo er keine Angehörigen mehr besuchen konnte, nur die Gräber der Großeltern auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee, wunderte er sich: Anders als bei früheren Besuchen der deutschen Hauptstadt rückten seine Erinnerungen in den Hintergrund, sagte der 90-Jährige. Er sehe nun die Dynamik der Stadt – und schätze „die Begegnung mit den jungen Menschen“.

Dieses Zusammentreffen hatte seine frühere Hochschule, die Humboldt-Universität organisiert: Es war eine Einladung der „Kommilitonen von 1933“, mit der die frühere Alma Mater alle Studenten ehren wollte, die auf Grund ihrer jüdischen Religion oder ihrer oppositionellen Einstellung relegiert worden waren. Riegner gefiel das Zusammensein mit Studentinnen und Studenten, die als „Paten“ den alten Kommilitonen eine Woche zur Seite standen.

Daneben gab er, einem Vermächtnis gleich, zwei große Interviews – eines in der taz – über das, was ihn sein Leben lang beschäftigt und zu einer historischen Figur gemacht hat: Als Leiter des Genfer Büros des Weltkongresses deckte er den Plan der Naziregierung zur systematischen und völligen Ausrottung der Juden in Europa auf. Nach langer Recherche verfasste er im August 1942 ein Telegramm (das berühmt gewordene „Riegner-Telegramm“), durch das die Alliierten erstmals von der „Endlösung“ erfuhren. Doch sie reagierten lange Zeit überhaupt nicht, später nur zaghaft. Weder die Gleise nach Auschwitz wurden bombardiert noch wurde mehr Juden Zuflucht gewährt. „Man hat gar nichts getan“, sagte er im taz-Interview voll Bitterkeit.

Riegner zog aus dieser Erfahrung Konsequenzen. Der Jurist engagierte sich nach dem Krieg für die Menschenrechte und die Minderheitenrechte der Juden. Er verfasste die Menschenrechtskonventionen der UNO mit und leitete Konferenzen der Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Am Herzen aber lag ihm der christlich-jüdische Dialog – dass die katholische Kirche langsam ihre antijüdische Haltung änderte, war auch sein Werk.

Auf sein Vermächtnis angesprochen, nannte er in seinem letzten Interview den Kampf für die Menschenrechte als „das Konstruktivste“, was er in seinem Leben getan habe.

Riegner wollte die Reise nach Berlin unbedingt antreten – doch sie hat ihn so geschwächt, dass er danach ins Krankenhaus musste. Er bekam eine Lungenentzündung. In der Nacht zu Montag ist ihr der große Kämpfer für Menschenrechte in Genf erlegen. PHILIPP GESSLER