Erste Schritte in den Frieden

Parallel zum Treffen auf dem Petersberg trafen sich VertreterInnen der afghanischen Zivilgesellschaft zum Gedankenaustausch

aus Bad Honnef ANTJE BAUER

Es war ein Wochenende der „ersten Schritte“. Sonntagnachmittag kam Lakhdar Brahimi nach Bad Honnef. Der UNO-Sondergesandte für Afghanistan verbreitete vorsichtigen Optimismus. Die afghanischen Delegationen auf dem Petersberg vollzögen erste Schritte für eine Entwicklung Afghanistans, sagte er. Sie seien zwar nicht repräsentativ für die Afghanen. Doch wichtig sei zum jetzigen Zeitpunkt in erster Linie die Arbeit, die dort geleistet werde, und nicht, wer diese Arbeit mache. Die Versammlung der Afghanen in Bad Honnef hörte ihm in banger Erwartung zu. Sie hatten drei Tage lang konferiert und beraten, und auch ihre Konferenz bezeichneten sie am Ende als ersten Schritt: Gehversuche also auf dem Weg zu einem friedlichen Afghanistan.

80 Afghaninnen und Afghanen waren nach Bad Honnef gekommen, in Rufweite des Petersbergs gewissermaßen. Eingeladen hatten die deutsche Stiftung für Wissenschaft und Politik und die Schweizerische Friedensstiftung, damit hier parallel zur Konferenz auf dem Petersberg Ideen für einen Neuaufbau Afghanistans entwickelt würden. Etwa die Hälfte der Anwesenden waren Frauen. Das allein schon unterschied die Konferenz von ihrem offiziellen Pendant. Die TeilnehmerInnen waren aus Pakistan und dem Iran, aus Dubai und den Vereinigten Staaten angereist – nur den weiten Weg aus dem umkämpften Afghanistan selbst hatte niemand geschafft. Anders als auf der offiziellen Versammlung auf dem Petersberg waren hier keine Kriegsparteien vertreten, sondern Angehörige der so genannten Zivilgesellschaft: Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, Professoren, Geschäftsleute, Studenten. Auch sie nicht repräsentativ, gewiss. Doch wie lässt sich die Bevölkerung eines Landes, in dem Krieg herrscht, angemessen vertreten? In Bad Honnef wurde über ähnliche Themen beraten wie auf dem Petersberg: Wiederaufbau des Landes, politische Strukturen, künftiges Bildungssystem. Und über Punkte, die auf dem Petersberg wohl weitgehend ausgespart blieben: etwa die Beteiligung von Frauen an den künftigen politischen Strukturen.

An den Debatten, die Exilafghanen seit einigen Wochen über den Neuaufbau ihres Landes führen, lässt sich erkennen, wie zwiespältig es sich auswirken kann, wenn ein System zerfällt und ein neues an seine Stelle treten soll. Viele Exilafghanen aus Europa etwa wittern die Chance, in Afghanistan ein demokratisches System nach westlichem Muster zu schaffen. Afghanen hingegen, die in der Region geblieben sind, zeigen zumeist größere Scheu vor revolutionären Veränderungen. Die TeilnehmerInnen der Tagung in Bad Honnef leben in der Mehrzahl in Pakistan und im Iran. Pragmatismus war wohl ihr größter gemeinsamer Nenner. Die Frauen aus Peschawar trugen Kopftücher. „Nicht, dass dort ein Foto von der Konferenz erscheint, auf dem wir mit bloßen Köpfen sitzen, und die Leute dort dann sagen: Schaut her, kaum fährt sie weg, zieht sie das Kopftuch ab“, wie eine Teilnehmerin der taz sagte.

Vorsichtige Hoffnung herrschte, dass die zahlreichen Ideen, die auf der Paralleltagung in Bad Honnef geäußert wurden, bei den offiziellen Stellen auf offene Ohren stoßen werden. Es waren Ideen über die Vernetzung von Strukturen, auch im Ausland, Ideen, wie ein neues Erziehungssystem aussehen könnte, wie Frauen einbezogen werden könnten, wie die daniederliegende Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden könnte. Ein Brainstorming, Denkansätze, Gedankenaustausch. Ein Großteil der gebildeten Schicht Afghanistans lebt im Ausland, und viele suchen nun nach Möglichkeiten, ihre Fachkenntnisse beim Neuaufbau einzubringen. So lange die Situation in Afghanistan so unsicher und von Gewalt geprägt ist wie jetzt, werden die Exilafghanen nicht in Scharen zurückkehren, auch das wurde deutlich.

In manchen Punkten kam man in Bad Honnef zu ähnlichen Ergebnissen wie die Konferenz auf dem Petersberg. Die Idee etwa, dass in sechs Monaten eine Loja Dschirga, eine große Ratsversammlung, einberufen wird, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll, stieß auf breite Zustimmung, obwohl eine solche Versammlung nicht demokratisch gewählt wird. Nang Arsala, Physikdozent an der Universität von Leiden, sagte der taz: „In Afghanistan herrscht zur Zeit eine Krise. Und in Krisenzeiten kann man keine freien Wahlen abhalten. Deshalb hat es zurzeit keinen Sinn, darüber zu reden, ob die Abgesandten der Loja Dschirga repräsentativ für alle sind.“

Das Ausmaß des Pragmatismus variierte. Während die einen versuchten, zumindestens für die nächste Zeit ihren Frieden mit den Warlords zu machen, die jetzt die Herren Afghanistans sind, forderten die anderen, sie vor Gericht zu stellen. Während die einen Hoffnung äußerten, dass sich die Delegationen auf dem Petersberg einigen möge, verbargen die anderen ihre Wut darüber nicht, dass Gruppen, die in den Neunzigerjahren Kriegsverbrechen begangen haben, nun politisch aufgewertet werden. Wie es weitergeht mit der Kommunikation der engagierten Afghanen, blieb unklar. Wie können Leute ein Land mit aufbauen, wenn sie über die Welt verstreut leben? Lakhdar Brahimi bekam ein paar Empfehlungen für den Petersberg mit. Kein Abschlusskommuniqué. Schließlich waren es ja nur erste Schritte.