90 Prozent sind keine Liebeserklärung

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer verdankt sein gutes Wahlergebnis der sorgfältigen Vorbereitung durch die Parteiführung. Wegen zahlreicher Fehltritte seit seinem Amtsantritt drohte er der Scharping der CDU zu werden

DRESDEN taz ■ Den jüngsten Fehler des Laurenz Meyer werden die Fernsehzuschauer nie zu sehen bekommen. Zum CDU-Parteitag gibt der Generalsekretär in einem ARD-Studio Auskunft zur leidigen K-Frage. Der Reporter kann sich seine Frage eigentlich sparen – wer seinen Job in der CDU behalten will, darf nur eine Antwort geben: „Anfang nächsten Jahres“ würde alles entschieden. Nachfragen sind zwecklos – schon die Festlegung auf einen konkreten Monat gilt in der Union als Einmischung in die Chefsache von Angela Merkel und Edmund Stoiber. Meyer beginnt textbuchgetreu, dann rutscht ihm „Anfang Januar“ heraus.

Der Mann hat Glück, die Sendung war nicht live. Meyers Mitarbeiter setzen einen Schnitt durch. Den Zuschauern wird der Patzer vorenthalten, dem Generalsekretär bleibt erspart, seine Mängelliste zu verlängern – just ehe er sich am Montagnachmittag den Delegierten in Dresden zur Wahl stellen musste. Auch so war seine Ausgangslage schlecht genug. Laurenz Meyer ist der Scharping dieses Parteitags. Die CDU in Dresden Anfang Dezember ähnelt der SPD auf dem Nürnberger Parteitag Mitte November: In den Zeitungen können die Delegierten von anonymen Parteifreunden lesen, die den Mann zur Fehlbesetzung erklären – während dieselben Delegierten auf den Treffen der Landesverbände ermahnt werden, ihm nur ja ein ordentliches Ergebnis zu bescheren. Rudolf Scharping hatte vor zwei Wochen sogar den Kanzler als Unterstützer, genützt hat es nichts. Mit 58 Prozent wurde er abgestraft. Doch die CDU tickt anders. 90,02 Prozent fährt der Kandidat ein – 10 Punkte über den optimistischen Prognosen des Vorabends. Eine Liebeserklärung sind die 90 Prozent darum noch lange nicht.

Allzu unbekümmert

„Der Parteitag ist diszipliniert“, meint ein Delegierter aus Niedersachsen. Typisch ist wahrscheinlich das Delegiertentreffen des kleinen Landesverbandes Bremen am Sonntagabend. Der Vorsitzende ging mit seinen Schäfchen die Tagesordnung durch, bei „TOP 10 c) Wahl des Generalsekretärs“ regte sich kurz kritisches Gemurmel. Wer den Meyer beschädige, erklärte der Vorsitzende knapp, der beschädige Merkel und damit sich selbst. Ohne Widerworte wandten sich die Anwesenden TOP 11 zu.

Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass die Klagen, die im Raumschiff Berlin gegen den Generalsekretär gern ventiliert werden, unten auf der Erde, an der Basis der Partei, längst nicht so tragisch gesehen werden. Dabei kommt ihm zugute, dass seine Fehler und Defizite die Scharping’sche Exotik vermissen lassen. Weder ist Laurenz Meyer einem Swimmingpool zu nahe gekommen, noch haben ihn die Jahre in der Politik zur schweigsamen Auster werden lassen. Ihm schaden eher seine Herzlichkeit und die oft allzu unbekümmerte gute Laune.

Meyer erweckt dadurch den Eindruck, ihm fehle es an den Wadlbeißer-Qualitäten, die nach Ansicht vieler Christdemokraten einen Generalsekretär erst zum General machen. Zwar provoziert der Sauerländer gerne mal, aber in seinem Gesicht steht gleichzeitig das angstvolle Flackern, wie groß denn die Detonation sein möge. Darin vor allem hat Angela Merkel sich bei seiner Berufung getäuscht. Nach dem Rausschmiss von Meyers Vorgänger, des gar zu sanftmütigen Persienexperten Ruprecht Polenz, hoffte sie auf einen deutlich härteren Frontmann. Meyer, den sie persönlich kaum kannte, wurde ihr empfohlen, weil er in Nordrhein-Westfalen als Vorsitzender der CDU-Fraktion einen Untersuchungsausschuss zum Tribunal gegen sozialdemokratischen Filz umfunktionierte.

Verfehlter Reformeifer

Doch auf der Berliner Bühne tut der 53-Jährige sich schwer. Das Wahlkampfplakat, das Gerhard Schröder wegen Rentenbetrug zur Fahndung ausschrieb, verriet fehlendes Wissen um die Ehrfurcht vieler Christdemokraten vor dem Amt des Bundeskanzlers, egal wer es gerade bekleidet. Der gescheiterte Versuch kurz vor dem Parteitag, der Fernsehbilder wegen die Mehrzahl der Honoratioren vom Tagungspodium zu verbannen, zeugte von Reformeifer auf einem aussichtslosen Feld. „Dem Kohl wäre das nie passiert“, meinte ein Delegierter, „der wusste um die Eitelkeiten und hätte eher noch zwei Leute mehr aufs Podium gesetzt.“ Vor allem aber fehlt es dem Generalsekretär an Raffinesse, der Unterschied zwischen „Anfang des Jahres“ und „Anfang Januar“ ist dafür symptomatisch. Die CDU ist zurzeit eine Partei, in der sich alle Führungskader nach Kräften mühen, zur wichtigsten Frage des Jahres auf möglichst kunstvolle Weise nichts zu sagen. Da könnte Laurenz Meyer vielleicht von Rudolf Scharping noch lernen. PATRIK SCHWARZ