Der Machtkampf geht weiter

Angela Merkel sagt, was Christdemokraten hören wollen – und bekommt fast sieben Minuten Beifall. Damit bleibt sie als Kandidatin im Rennen

Die Spendenaffäre schrumpft zu einem unsauberen Angriff gegen die CDU

aus Dresden BETTINA GAUS

Etwas steht fest, bevor Angela Merkel das erste Wort ihrer Rede gesprochen hat: dass die etwa tausend Delegierten des CDU-Parteitages in Dresden ihrer Vorsitzenden nach dem letzten Wort minutenlang stehenden Applaus spenden werden. Auf diese Linie war die Basis in den Sitzungen der verschiedenen Landesverbände eingeschworen worden. Schließlich wissen Merkels interne Gegner ebenso wie ihre Anhänger, dass sich ohne eine starke CDU-Vorsitzende kein Wahlkampf erfolgreich bestreiten lässt. Ob sie nun Kanzlerkandidatin ist oder nicht. „CDU und CSU können nur gemeinsam gewinnen“, ruft Angela Merkel dem Publikum in der Messehalle zu, und der Beifall schwillt zu fast ohrenbetäubender Lautstärke an. Dem stimmen nun wirklich alle Delegierten vorbehaltlos zu.

Die CDU-Vorsitzende macht es der Basis leicht, ihr zuzujubeln. Sie sagt, was verunsicherte Delegierte hören wollen, und sie verabreicht keine bitteren Pillen. „Die CDU ist wieder voll da, und diese CDU ist kampfbereit.“ Die SPD müsste dringend „ein Stück Demut“ lernen. „Der Souverän in diesem Land ist immer noch der Wähler und nicht das SPD-Parteipräsidium. Und das ist gut so.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder stehe für Versprechen, die nicht eingelöst worden seien. „Wir sagen nur das, was wir halten können“, sagt Angela Merkel. Und erklärt, was sie damit meint: „Wohlstand für alle, Arbeit für alle und keine Verschuldung des Bundeshaushalts. Das ist die Aufgabe.“ Sonst noch was?

Die Spendenaffäre ist in der Rede der Vorsitzenden zu einem gescheiterten Versuch der politischen Gegner geschrumpft, der CDU mit unsauberen Methoden zu schaden: „Keiner ihrer schmutzigen Vorwürfe hat sich bewahrheitet. Unsere Politik war weder käuflich noch bestechlich.“ Eine „öffentliche Entschuldigung“ derjenigen, die „mit Halbwahrheiten agiert haben“, fordert die Politikerin, die sich einst durch das Versprechen schonungsloser Aufklärung parteiübergreifenden Respekt erworben hat. Der Saal tobt vor Begeisterung.

Das Thema, über das in den Wandelgängen alle reden und das die Medien auf diesem Parteitag als einziges interessiert, erwähnt Angela Merkel gegen Ende ihrer Rede fast beiläufig. „Es ist richtig, einen einmal eingehaltenen Zeitplan einzuhalten“, sagt sie zu der Frage, wann der Kanzlerkandidat der Union denn nun gekürt werden soll. Da ohnehin nicht mehr vom nächsten Frühjahr, sondern vom nur vier Wochen entfernten Jahresbeginn die Rede ist, regt sich auch hinter vorgehaltener Hand kaum noch Widerspruch.

In Dresden wird die Entscheidung jedenfalls nicht fallen. Die Zeit arbeitet für Angela Merkel, meinen auch manche der CDU-Politiker, die ihrer Vorsitzenden nicht wohlgesonnen sind, deren Steherqualitäten aber widerwillige Anerkennung zollen. Wenn Merkel hart bleibt, so eine Überlegung, dann wird der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber es nicht wagen, gegen den Widerstand ihrer Anhänger anzutreten.

Seine Rivalin steht allerdings vor einem ähnlichen Problem, wenn auch spiegelverkehrt. Sie müsste sich im Falle ihrer Kandidatur vor allem darum bemühen, die Parteirechte mit deren Niederlage zu versöhnen. Angela Merkel beweist mit ihrer Rede, dass sie sich der Zwänge bewusst ist: Ja doch, sie will Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen, sagt sie. Kleine Verbeugung nach rechts. Jedenfalls dann, wenn die Regierung nicht „Vernunft annimmt“. Kleine Verbeugung nach links. Das erwartet sie aber nicht. Verbeugung nach allen Seiten.

Angela Merkel kämpft um Zustimmung, und sie lobt, lobt, lobt: die Mitglieder vor allem, dann Konrad Adenauer, Helmut Kohl und immer wieder Ludwig Erhard. Außerdem alle Ministerpräsidenten und Oppositionsführer. Wolfgang Schäuble kommt auch in der Rede vor. Einmal gemeinsam mit Roland Koch, in Anerkennung des CDU-Wahlsieges in Hessen. Und einmal gemeinsam mit dem Europapolitiker Hans-Gert Poettering wegen des Konzepts für einen Europäischen Verfassungsvertrag. Die Botschaft ist unmissverständlich: ein nützlicher Mann der zweiten oder dritten Reihe. Schäuble hat gerade vorgeschlagen, dass die Kandidatenfrage auch von der Fraktion entschieden werden könne, wenn die Parteivorsitzenden von CDU und CSU zu keiner Einigung kämen. Als Außenseiter ist der ehemals unumstrittene Kronprinz noch immer im Rennen. Und das Sprichtwort vom lachenden Dritten kennt im Präsidium jeder. Angela Merkel auch.

Hinter den Kulissen geht der Machtkampf also weiter. Davon aber spricht die CDU-Vorsitzende oben auf dem Rednerpult nicht, sondern von der „Neuen sozialen Marktwirtschaft“ – jenem Begriff, den sie geprägt hat und von dem sie hofft, dass er sich als Klammer für alle Politikbereiche eignet: von der Steuerpolitik über die Bildung bis zu den sozialen Sicherungssystemen. Aber der Ausdruck ist sperrig und schwer fassbar. Er reißt die Delegierten nicht zu Begeisterungsstürmen hin. Am Ende spenden sie dennoch fast sieben Minuten Applaus.

Diese Huldigung eröffnet Raum für Interpretationen. Wer von Angela Merkel nichts hält, wird den Beifall zu einer Trotzreaktion der Delegierten und zugleich für taktisch kluges Verhalten erklären. Wer Angela Merkel an der Spitze sehen will, wird ihn als entsprechende Willensäußerung werten. Das Rennen bleibt spannend.