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Queerer Alltag, Trash und Hassverbrechen: Heute startet das Filmfestival „Verzaubert“  ■ Von Doro Wiese

Die Lesbisch-Schwulen Filmtage haben sich in Hamburg längst etabliert. So stellt der Veranstalter Rosebud, der mit einer schwul-lesbischen Programmzusammenstellung namens Verzaubert gleich mehrere Städte beschickt, keine Konkurrenz dar. Abspielort des queeren Filmfestivals, das vom 5. – 12. Dezember stattfindet, ist „Hamburgs Filmpalast am Dammtor“, das Cinemaxx. Eine hamburgspezifische Anbindung bekommt das Festival dadurch nicht.

Als ortsungebundenes Multiplex, das seine Atmosphäre aus einer Geschichtslosigkeit des Ortes generiert, erreicht das Kino zwar ein wunderbares Sehvergnügen. Aber es fehlt dort an jener brizzeligen Atmosphäre, die herzustellen den Lesbisch-Schwulen Filmtagen durch ihre Anbindung an lokale Programmkinos gelingt. Der Unterschied ist ohnehin groß: Verzaubert beschickt uns mit lesBischwulen Filmen, während die lesbisch-schwulen Filmtage sich alljährlich bemühen, ein ansehnliches und bewegungsorientiertes Rahmenprogramm auf die Beine zu stellen.

Die Schwerpunkte des diesjährigen Verzaubert-Festivals sind Filme aus Spanien und Lateinamerika, eine Reihe über „Hassverbrechen“ sowie eine Auswahl von Filmen, die Christine Vachon – „Königin des unabhängigen Films“ – produziert hat. Letztere wird mit Hedwig and the Angry Inch gleich am Eröffnungsabend geehrt. Als Spektakel, das sowohl an die Rockmusik der 80er Jahre als auch an DDR-Zeiten anknüpft, verspricht der Film eine Retrospektive im neuen Gewand: Da Hedwig früher Hansel war, rutscht eine transsexuelle Geschichte in eine Vergangenheit hi-nein, die sowohl an Jugendkultur als auch an deutsche Historie anknüpft. Ein ähnliches Wiedererkennungskonzept verfolgt Velvet Goldmine, der ebenfalls von Vachon produziert wurde – nur dass in diesem Film die androgynen Stars der 70er Jahre im Mittelpunkt stehen.

Die Hommage an Vachon wird mit Series 7, I Shot Andy Warhol und Boys Don't Cry fortgesetzt. Series 7 wendet sich dem Phänomen Reality-TV zu und entwirft ein erschreckendes Bild von ZuschauerInnenlüsten, die sich aus der mörderischen Wirklichkeit hinter ihrem Schaukastenviereck speisen. I Shot Andy Warhol wiederum zeichnet die Geschichte der Warhol-Attentäterin Solanas nach und entwirft gleichzeitig ein unterhaltsames Sittengemälde des Factory-Umfelds.

Boys Don't Cry leitet schon zum Themenschwerpunkt Hate Crimes über. Denn Brandon Teena wird ermordet, weil er biologisch eine Frau ist und er somit in den Augen seiner Mörder als Identitätsschwindler und Instanz der Verunsicherung den Tod verdient. Die Begeisterung, die der Film auslöste, sollte jedoch nicht über seine konzeptionelle Schwäche hinwegtäuschen: permanent geht der Blick der Kamera ein Bündnis mit den Bli-cken von Brandons Mördern ein.

Einen Höhepunkt in der Reihe Hate Crimes stellt Tödliche Begegnungen dar, der sich den Lebenswegen von Nazi-Opfern widmet. Ohne Frage ist dieser Film gerade in Deutschland wichtig, da nach dem kurzen Sommer des staatlichen Antifaschismus das Thema Faschismus längst von einer an-geblichen und Ausländerfeindlichkeit schürenden Terrorbekämpfung verdrängt wurde.

Wer sich leichterer Kost zuwenden möchte, ist mit dem restlichen Programm gut bedient. Hervorgehoben sei hier zum Ersten die spanische Filmreihe, die ein breites Spektum an Themen anbietet. Zum Zweiten kann neben den zahlreichen Filmen aus aller Welt Absolutely Fabulous mit Vorfreude erwartet werden. Denn wer möchte Jennifer Saunders, Catherine Deneuve und Jean-Paul Gaultier in der französischen Langfilm-Version der kultigen Trashserie verpassen?

 Hedwig and the Angry Inch: heute, 20.45 Uhr; Boys Don't Cry: morgen, 16.15 Uhr; Absolutely Fabulous: Fr., 7.12., 16.15 Uhr; Tödliche Begegnungen: Fr., 7.12., 23 Uhr; Series 7: Mo., 10.12., 16.15 Uhr; Velvet Goldmine: Di., 11.12., 16.15 Uhr; I Shot Andy Warhol: Mi., 12.12. 16.15 Uhr, Cinemaxx; weitere Filme siehe Programm; www.queer-view.com/verzaubert